1980 fiel mir das „Ter Fögi isch a Souhung“ in die Hände, eine sadomasochistischer Schwulenroman, er in Zürichs Szene spielt und in einem eigenwilligen Bärndeutsch geschrieben war. Das Buch war ein Jahr zuvor im Eco Verlag erschienen, und man kann sich heute kaum mehr vorstelen, wie wenig sichtbar Homosexualität damals war. Fest eingebrannt hat sich mir einen Fotographie von Martin Frank, der in weissen Jeans im Neumarkt hockte, im Schoss den Kopf eines liegenden Strichers und dazu aus dem Buch vorlas. Das war alles sehr aufregend.
1990 verfilmte Marcel Gisler das Buch, was mir Gelegenheit gab, zusammen mit Marcel Zwingli Martin Frank – und in der Folge – den Originalfögi zu treffen. Fögi war Ernesto Vögeli nachgebildet, dem Sänger der Tusk, die Zwingli, der etwas älter ist als ich, noch gesehen hatte.
Weil mir soeben das Bänchen des Interviews von damals in die Hände fiel, kommt hier nochmals der Text über Fögi und ein Interview mit Martin Frank, die wir damals in der SonntagsZeitung publiziert hatten.
„Ich nahm soviel LSD, dass ich vergass, hochdeutsch zu schreiben“
Autor Martin Frank über sein Kultbuch, sein Triple-Coming-out und alte Mannli mit Pudeli
Er erscheint bereits in der fünften Auflage: Martin Franks Mundartroman „ter fögi ische souhung“. Jetzt klärt der Autor, ob seine wilden Geschichten Fiktion sind – oder ein Schlüsselroman.
Martin Frank, als „ter fögi“ erschien, erregte die eigenwillige Schreibweise Aufsehen. Warum wählten Sie Berndeutsch?
Martin Frank: Erstens habe ich soviel LSD genommen, dass ich einfach vergass, hochdeutsch zu schreiben. Zweitens beschäftigte ich mich ganz seriös mit Linguistik und lernte gesprochenes Tamil. Dafür gab es eine ausgeklügelte phonetische Schrift. Das gleiche wollte ich für die eigene Sprache machen.
Was ist die Geschichte des Buches?
Frank: Ein dummer Bub, der sich in einen schlechten Sänger verliebt. Brutal gesagt. Es war aber ein intelligenter Bub, und der Sänger war für Schweizer Verhältnisse ein ganz guter Sänger.
Gab es literarische Vorbilder?
Frank: Ich las alles von Genet, Burroughs, Kerouac. Und „The Catcher in the Rye“.
Der Ich-Erzähler Beni sagt, er schreibe, um 10 000 Franken und einen „Chlapf“ zu kriegen.
Frank:Wie Be ni komme ich aus dem unteren Mittelstand. Ich war an ein paar Gymnasien, bin mit Beethoven-Biographien aufgewachsen und hatte diese Mittelstands-Ambition, ein Genie zu werden.
1979 haben Sie diese Erwartung erfüllt . . .
Frank: „Ter fögi“ war ein Triple-Coming-out. Überhaupt einmal einen Text als Literatur zu präsentieren. Das ganze auf Mundart. Und schwul zu sein.
Alles wirkt authentisch: die Originalschauplätze, die Drogenexperimente . . .
Frank: Die Drogen haben geholfen, aus den Büchern und dem Schwulsein auszubrechen. Man hat es mit den Drogen einfach vergessen. Und die anderen Hippies waren auch so verladen, dass sie vergessen haben, ob das ein Problem ist. Ich war ein begeisterter Hippie. Es war schön, ein Hippie zu sein.
Auch die Stricher-Schilderung ist präzis.
Frank: Es gab Stricher, die ich sehr gut kannte. Und ich habe es auch einige Male ausprobiert. Man weiss nach einigen Malen, wie es ist.
Das Buch wurde als Schlüsselroman gelesen. Wer war der echte Fögi?
Frank: Das Hauptmodel war ein Dealer, den ich gut kannte. Ein unheimlich lieber Mensch, mit gutem Charakter, der jahrelang für andere im Gefängnis sass. Mich interessierte die Spannung zwischen einem, der sich mit Heroin zerstört, und einem Jungen, der LSD nimmt und sich zur Hippie-Blume öffnet.
Dann gab es noch einen schwulen Rocksänger, der den Spitznamen Fögi hatte.
Frank: Der reale Fögi war vermutlich der erste Rocksänger auf dem ganzen Kontinent, der offen schwul war. Dazu brauchte es 1970 viel Mut. Ich bewunderte ihn wahnsinnig, weil er der einzige war, der als Vorbild in Frage kam, der einzige, der lange Haare hatte, Musik machte und den Mut hatte, selbstverständlich mit einem Jungen rumzuziehen. Er war so eine Art schwuler Mick Jagger, das Buch war eine Liebeserklärung an ihn.
Die erste Auflage erschien mit Fotos von Fögi und wurde zurückgezogen . . .
Frank: Seine Familie wollte die Fotos draussen haben.
Verständlich, ihre Kunstfigur fixt, dealt und ist sadistisch veranlagt. Haben Sie das selber durchlebt, den Sadomasochismus?
Frank: Mit fünfzehn habe ich die Perspektive von Beni durchlebt, ich war wie er: bereit, mich in Stücke schneiden zu lassen, wenn mich jemand gern hat. Damals gab es keine junge Schwulenszene, man war einsam und fürchtete, als altes Mannli zu enden, das allein mit dem Pudeli spazieren geht. Mit 25 war alles anders, und ich wurde Fögi.
Martin Frank, „ter fögi ische souhung“, Tini-Verlag, 222 Seiten, 28.80 Franken
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Frank schreibt Berndeutsch:
ter fögi isch höchschtens chli go dile. süsch ischer umegläge het dschimi hendrix glost oder gitare gschpiut. ibi si lieb hung xi urhepmi gschtrichlet u tätschlet umipmer gschpiut. rkuälp mi chli useit wasi mues mache lieb uschträng uguet uschtarch.
Auf Hochdeutsch heisst das:
Der Fögi ging höchstens ein wenig dealen. Sonst lag er herum, hörte Jimi Hendrix und spielte Gitarre. Ich war sein lieber Hund, und er streichelte mich, und tätschelte mich und spielte mit mir. Er quält mich ein wenig und sagt, was ich machen muss, lieb und streng und gut und stark.
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Ter ächt Fögi isch so öppis wine schwule Dschägger gsi
„F. est un salaud“ ist die Verfilmung der eigenwilligen Liebesgeschichte „ter fögi ische souhung“, die 1979 erschien und für Furore sorgte
Dieser sadomasochistische Roman von Martin Frank stand immer im Ruch, ein Schlüsselroman zu sein. Ob er’s war? Eine Spurensuche von Thomas Haemmerli und Marcel Zwingli.
Der Film „F. est un salaud“ erzählt eine schwule Liebesgeschichte, die sich Anfang der siebziger Jahre ereignet hat und von einiger Dramatik ist: Der junge Beni verliebt sich in den Musiker Fögi, Fögi versackt in seiner Heroinsucht, Beni geht auf den Strich, und die Beziehung der zwei kippt ins Sadomasochistische. Beni wird zu Fögis „Hund“. Trotz dieser eher rüden Zuspitzung hat Regisseur Marcel Gislers einen subtilen Film geschaffen, dem etwas Warmes und Romantisches eigen ist.
Die literarische Vorlage ging härter zur Sache. Das Drehbuch fusst auf Martin Franks Roman „ter fögi ische souhung“, ein Buch, das 1979 weit über die Schwulenszene hinaus für Aufsehen sorgte. Ungewohnt war die eigenwillige Mundart-Schreibweise, aber vor allem die für helvetische Verhältnisse geradezu unerhörte Freizügigkeit, mit der Frank schwulen Sex und die sadomasochistische Beziehung zwischen Fögi und Beni beschreibt. Unerhört war auch die Selbstverständlichkeit, mit der Beni, der Ich-Erzähler, seine Stricher-Jobs bei heimlichen Homos abhandelte. Gewagt war die Episode mit dem elfjährigen Walterli, der bei Fögi und Beni Hasch rauchte und den Sex entdeckte.
Dass ein solches Manuskript nicht sofort einen Verleger findet, liegt auf der Hand. Drei Jahre lag es beim Zytglogge-Verlag – und nichts geschah. Den Schritt an die Öffentlichkeit wagte der kleine Zürcher Eco-Verlag. Als „ter fögi ische souhung“ erschien, reagierte die Kritik enthusiastisch. Der „Tages-Anzeiger“ freute sich über diesen Autor, dem es gelinge, „Szenen so zu schreiben, wie wir wirklich reden und vor allem denken“. Der Erfolg blieb nicht aus. Mit 10 000 abgesetzten Exemplaren hatte der Eco-Verlag seinen Bestseller.
Und der selbstbewusste, schwungvolle Roman wurde zur Offenbarung für viele Schweizer Schwule und war da und dort den Anstoss für Coming-outs. Zu reden gab aber nicht nur die freizügige Art des Buches, sondern auch die Frage, ob „ter fögi“, der von intimer Kenntnis der Zürcher Musik und Drogenszene zeugt, ein Schlüsselroman sei. Tatsächlich sind die Schauplätze authentisch, und der Ich-Erzähler Beni könnte auf Autor Martin Frank passen. Dazu kommt, dass eine der auffälligsten Figuren der Zürcher Musikszene der siebziger Jahre tatsächlich den Spitznamen „Fögi“ trägt und Frontmann bei der Rockband Tusk war. Da nützte es wenig, wenn Martin Frank seinem Buch voranstellte: „Jede, wo meint, är kenn öper, wo i däm roman forchunt, ische schpinsiech. Sisch aues erfunde.“
In Tat und Wahrheit aber hatte Frank Erlebtes, Gehörtes und Gesehenes miteinander vermischt, da und dort abgeändert und Neues dazu erfunden. Stellenweise autobiographische Züge trägt die Figur des Beni, während Fögi vor allem einem Dealer nachempfunden ist. Dem allerdings verpasste Frank dann den Spitznamen des legendären schwulen Rockstars Fögi.
November 1970. Das Autonome Jugendzentrum Bunker in Zürich ist vollgestopft, die Luft haschgeschwängert. Der Original-Fögi schreit sich auf der Bühne die Lunge aus dem Leib. Seine Band Tusk, die neben Krokodil und den Sauterelles als eine der raren Schweizer Rockhoffnungen galt, spielt ein Gedenkkonzert für den 14jährigen Mitsch, der in jenem Herbst mit seinem Töffli bei einer Kollision mit einem parkierten Lastwagenanhänger gestorben war. Mitsch war ein grosser Tusk-Fan, der jedes Konzert der Band besuchte.
Das Bunker-Konzert war eine Hommage an ihn, ein Hommage einer erfolgreichen Band, die ihren „ersten Auftritt in Montreux als Vorgruppe der Deep Purple hatte“, wie sich Organist Phillipe Kienholz erinnert. Später kamen Tusk mit der Single „Child Of My Kingdom“ in die Hitparade. Die Band bestach durch einen an Deep Purple orientierten Sound und durch ihren charismatischen Leadsänger Fögi. Dieser nahm sich Mick Jagger zum Vorbild, kopierte das eine oder andere und wurde legendär für seine Bühnenshow. Daran erinnern sich heute sowohl Altmeister Hardy Hepp wie auch Rams, der Frontmann der Achtziger-Band Bucks. „Fögi war damals der einzige, der eine richtige Bühnenshow machte“, sagt Kienholz, „die Sauterelles waren ziemlich brav.“
Aufsehen erregte Fögi auch, weil er seine Vorliebe für junge Männer nicht verheimlichte. Junge Schwule bewunderten ihn dafür, etwa der spätere Autor Martin Frank: „Fögi war ein Held, ein Pionier, ein Revolutionär“. Und somit eine ideale Projektionsfläche für die Romanfigur Fögi.
Eher irritiert war indes der echte Fögi, als er später die Saga vom süchtigen und sadistischen „Fögi“ las. Seine Version der Geschichte lautet etwas anders: Er sei ein zurückhaltender Liebhaber gewesen, habe Frank Martin damals gar nicht gekannt und sich folglich im Buch auch nicht wiedererkannt. Als Projektionsfläche bot sich der schwule „Mick Jagger“ von Tusk aber schon früher an. Denn lange bevor Frank seinen Roman veröffentlichte, rankten sich um den Rockstar Fögi allerlei Legenden.
Eine lautete: Mitsch sei Fögis Lover gewesen und habe ihm auch die Drogen verschafft, mit denen er sich vor dem Unfall eingenebelt habe. „Mitsch hatte immer das Gefühl, dass wir ihn nicht ernst nehmen“, erinnert sich Fögi. Weil er sich nicht für voll genommen fühlte, habe Mitsch von seinen Drogenerfahrungen erzählt und LSD genommen. Fögi: „Ich sagte ihm, dass wir ihn wirklich akzeptierten und dass er sich nicht mit Drogengeschichten wichtig machen müsse.“ Und der Lover? Mitsch habe ihm tatsächlich gefallen und er habe ihn auch gemocht, verrät Fögi. Aber ein 13jähriger Junge als Liebhaber wäre für ihn indiskutabel gewesen.
Mitsch wurde im offenen Sarg neben dem Grab aufgebahrt. Eine grosse Menschenmenge war auf den Friedhof gekommen, unter den Trauernden auch Fögi und die Tusk. Entgegen einem Gerücht an einigen Mittelschulen spielten die Tusk nicht. Und nach seinem Tod seien sie auch nicht mehr dieselben gewesen, sagt Fögi. Mitsch habe ihnen gefehlt. Als sie im Bunker das Gedenkkonzert gaben, habe Mitschs Schwester Fögi gebeten, für ihren Bruder die Worte zu sagen, die auch Mick Jagger am Hyde-Park-Konzert zum Gedenken an Brian Jones gesprochen habe: „Er ist nicht tot – er schläft nur.“
September 1998. Der reale Fögi erzählt das alles, obwohl er anfänglich an einem Treffen nicht sehr interessiert ist. Schon Martin Franks Buch habe ihm zu schaffen gemacht. Er war entsetzt, im Buch auf seine Fotos und seinen Spitznamen zu stossen. Denn die Geschichte von Franks „Fögi“ habe mit der seinen kaum etwas gemein. An die Zeit mit Tusk erinnert er sich aber gerne zurück. Und auch den Film „F. est un salaud“ wird er sich anschauen.
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