04.03.2019  _  AHV + Chantal Galladé + Daniel Binswanger + FlaM + Gwerkschaften + Kuhhandel + Levrat + Linksliberal + Republik + Sozialliberal + SPS Facebook

Ist die GLP für Linksliberale wählbar? Oder ist das „Etikettenschwindel“: Der Streit mit Binswanger, Runde 2

Damit ich auf den 5-fach Tweet nicht mit einem 28er beantworten muss, erlaube ich mir nochmals auf meinen Uralt-Blog zu antworten. Wir können aber auch gerne auf FB oder sonst wo weiter streiten.

Daniel Binswanger tweete auf meine Replik (s.u.) folgende fünf kursiv gehaltenen Tweets.

1/ Lieber @HaemmerliT, ich debattiere gerne mit Dir. Es würde aber helfen, wenn Du EIN Argument bringen könntest. Die glp stimmte im letzten Moment der Altersvorsorge 2020 zu? Sehr lobenswert, ich habe sie gelobt. Aber eine Positionierung ganz klar rechts von der CVP und der BDP.

 

Lieber Daniel, klären wir, was wir diskutieren. Wenn wie die Personalpolemik bei Seite lassen, geht es um die Frage, ob die GLP ein Ort für die heimatlosen Links- und Sozialliberalen sowie für unzufriedene SP-WählerInnen sein kann. Oder ob das «Etikettenschwindel» ist, weil die GLP eine «stramm rechte Partei ganz klar rechts von der CVP» ist. (Ich erlaube mir, den Spezialfall BDP auszuklammern.)

Schauen wir uns die grossen Fragen an. Die zwei zentralen sind: Schafft es die EU, weiterhin zivilisiert die Interessen Europas zu wahren? Oder siegen die Populisten und Extremisten von rechts und links, die Mélenchons, Le Pens, Wagenknechts, Gilets Jaunes, Podemos et al und der Laden fliegt auseinander? Die Schweiz kann da nur mittelbar mittun. Aber klar ist, die EU ist nicht der Feind. Wir haben grösstes Interesse an ihrem Fortbestand. Und wir haben ein Interesse an guten, langfristig tragfähigen Verflechtungen. In der Europafrage ist die GLP heute das, was früher die SP war: Die verlässlichste Partei. Zweite grosse Herausforderung ist der Klimawandel. Das ist die GLP wie in allen anderen Öko-Fragen glasklar, auch wenn man über die Massnahmen streiten kann. Von der CVP kann man das weit weniger behaupten. Ich bin nicht im Bilde über alles, was die GLP im Kanton Zürich treibt. (Bis heute vermisse ich schmerzlich die Ratsprotokolle der NZZ, mit denen man immer en détail wusste, wer was auf dem Kerbholz hat.) Aber nimmt man das hoch umstrittene Wassergesetz in Zürich, da gehört die CVP mit SVP und FDP zu den Parteien, die alle Umweltverbesserungen raus strichen und den “Privatisierungs”-Teil verantworteten. Schiffbruch erlitten sie damit nicht nur gegen die SP, sondern auch gegen die GLP. Wir könnten jetzt beide noch ein wenig suchen, bei einer Mittepartei, die die GLP ja ist, gibt es selbstverständlich auch den betont bürgerlichen Flügel. Und du fändest das eine oder andere, was Linken nicht schmeckt. Ich könnte dann mit der Stadtpartei kontern, die weiter links steht.

Ansonsten meine ich, dass ich in meiner Replik mehr als EIN Argument gebracht habe. Neben Europa ist es die progressive Gesellschaftspolitik. NR Bertschy hat den Anstoss für die Ehe für alle gegeben. Derweil die CVP unter dem Deckmäntelchen der «Heiratsstrafe» die Heten-Ehe als verbindlich in der Verfassung wollte. Und auch Werte-Pfister widerspricht deiner Positionierung der CVP als einer Partei links der GLP. Solide Europapolitik, verlässliche Klimapolitik und das Engagement für liberale Gesellschaftspolitik, ich wiederhole mich, sind schon mal ein attraktives Angebot für Linksliberale.

2/ Die AHV-Revision und Generationengerechtigkeit? Das betrifft die BVG. Ob man die AHV primär mit Leistungsabbau oder mit Ausgabenerhöhung saniert, ist ein soziale Frage. Leistungsabbau ist für die Ober-, Ausgabenerhöhung für die Unterschicht besser. Eine Frage der Präferenzen.

Ich wiederhole mein Argument: Wir leben immer länger & sind länger arbeitsfähig. D.h. weniger Junge zahlen für mehr Alte. Dazu kommt: Lange Lebenserwartung korreliert mit Bildung und Wohlstand. Natürlich ist es richtig, dass bei der AHV die Verkäuferin wenig, der CEO viel mehr einzahlt. Aber durch die Alterung haben wir einen permanenten Leistungsausbau. Und rasen auf ein gewaltiges Defizit zu. Sozial ist es, die AHV zu sanieren und für die Zukunft dauerhaft zu sichern. Nicht bloss kurzfristig. Und das heisst auch, dass man das Rentenalter erhöhen muss. Dito bei der Angleichung der Frauenrente. Ich verstehe ja, wenn man das tiefere Frauenrentenalter als Pfand für die geschuldete Gleichstellung verwendet. Ich verstehe aber nicht, wenn man eine Angleichung von vornherein als brutalen Sozialabbau geisselt. Was die Unterschicht anbelangt: Klar ist auch, dass man für Verschleissjobs wie auf dem Bau ein tieferes Rentenalter als heute bräuchte. Und man müsste endlich die Mehrbelastung der Löhne bei den Älteren streichen. Keine langfristig tragfähige Antwort auf die demographische Herausforderung halte ich nicht für sehr sozial. Kommen wir noch zu den Einnahmen, die wir auch brauchen, wenn wir die AHV sichern wollen. Sieht man sich all die Szenarien an wie viel Arbeit wegfallen wird wg. der Digitalisierung, so ist es nicht sehr schlau, Arbeit teurer zu machen. Besteuern sollte man bspw. fossile Energie. Oder zurück zu einer differenzierten Mehrwertsteuer, die Luxusgüter teurer machen würde.

3/ Was sagst Du zur extrem konservativen Finanz- und Steuerpolitik der glp? Zur Steuervorlage 2017 (es gäbe beliebig viele andere Beispiele, besonders aus dem Kanton Zürich). Schweigen?

Grosso modo ist Stadt-GLP alles andere als konservativ. Und schmetterte im Dezember mit der Linken die Sparanträge der Bürgerlichen ab. Im Kanton kann man den Vorwurf eher erheben.  Aber genau dort hat es jetzt eine neue Führung. Und wenn man sich den Spider von Regierungsratskandidat Mäder anschaut, ein strammer Rechter ist das nicht. Bei allen Vorbehalten, die man gegenüber Smartvote haben kann: Sowohl die bisherigen als auch die neukandidierenden KantonsrätInnen sind nicht nur progressiver sondern auch weiter links als die CVP. Und allesamt stehen sie links der Mitte. Das gleiche gilt für den Nationalrat. Auch das belegt: “Stramm rechts” & “rechts der CVP” sind beides Fehlurteile. Die Steuervorlage 2017 ist dermassen komplex, dass ich nicht in der Lage bin, kompetent mit zu diskutieren. Dafür muss ich dann nochmals Hausaufgaben machen. Mit scheint aber, dass die Grundzüge im Kanton Zürich in dem Kompromiss liegen, den SVP-Stocker und der grüne Finanzstadtrat Leupi ausgehandelt haben. Auch wenn nun jemand oder gar die Fraktion weiter wollte, dann ist das noch kein Beleg für eine extrem konservative Steuerpolitik. Und es ist ja kein Übel, wenn die GLP auch für Freisinnige interessant bleibt, die mehr Ökologie wollen. Dazu kommt: In Sachen Finanzpolitik zitiert etwa Jacqueline Badran gerne Otto Stich mit der Maxime: «Schulden sind asozial.» Das Rote Zürich wurde wg. Schulden vom Kanton kujoniert und verfolgte darauf eine strikte Sparpolitik bis man schuldenfrei war. Als einer, der oft keynesianisch argumentiert, stimmst du mir wohl bei, dass man in guten Zeiten Polster aufbauen sollte. Deshalb sind Sparübungen nicht immer des Teufels. Die nächste Krise kommt so sicher wie das Amen. Und laxe Finanzpolitik ist oft rechts siehe z.B. Reagen, Trump oder die SVP, die 2002 die Goldstiftung versenkte, worauf das Geld in der AHV (Hurra?) und den Kantonen versickerte. Wo ich dir recht gebe: In der kantonalen Sozialpolitik gab es den Angriff auf die SKOS, der unnötig war.

 

4/ Du sagst Schlegel und Forster sind gute Typen? Finde ich auch. Grossartig, dass sie in die Parteipolitik gehen. Die Organisationen, die sie aufbauten, haben aber kein wirtschafts- und sozialpolitisches Profil. Ich denke, sie ticken sehr bürgerlich – was völlig ok ist.

 

Soweit ich das mitkriege, lautet ihr Credo einfach nicht, dass man den Kapitalismus überwinden muss. Damit ist man noch kein strammer Rechter. Das war bei der Exekutiv-SP lange courant normal, egal was für ein Schmäh im Programm stand. Die Frage ist, wie sehr man in einhegt und seine Folgen abfedert. Darüber ist immer wieder neu zu streiten. Das von Forster gegründete foraus brachte unlängst zehn Vorschläge, wie man auf dem Arbeitsmarkt den Gewerkschaften entgegenkommen könnte, um das Rahmenabkommen zu retten. Gerhard Pfister forwardete: Was @foraus vorschlägt, ist nichts anderes als ein zu Tode regulieren
des schweizerischen Arbeitsmarktes! #InstA

 

5/ Die dritte Generation wird die glp reformieren? Kann sein, wäre schön, es bleibt spannend. Der heutige Trackrekord ist nicht im Geringsten sozialliberal. Ich habe kein Problem mit einer avancierten, ökologischen, bürgerlichen Kraft. Ich habe ein Problem mit Etikettenschwindel.

Meinetwegen: Streichen wir sozialliberal – wenn wir unter sozialliberal denn verstehen, dass eine Partei in sozialen Fragen jeweils mit der Linken stimmt. Sozialliberal könnten wir aber durchaus behalten, wenn wir darunter eine Haltung verstehen, die für sozial abgefederte Marktwirtschaft steht, gute Rahmenbedingungen für zukunftsträchtige Unternehmungen will, die gesellschaftsliberal tickt, und die Schweiz mit der EU verbunden sehen will. Eine Position, die man dem Zürcher Stadtrat in vielem zu schreiben könnte. Oder Leuten wie Notter und Ledergerber. Bei der Levrat-SP ist von diesem Konsens die Haltung zur EU weggebrochen. (Das erklärt schön Loefpe im PS) Und was die Wirtschaftspolitik anbelangt, da macht Gewerkschafter Levrat halt Gewerkschaftspolitik. Nix gegen Bodenmanns Bauarbeiter. Nix dagegen, dass die Gewerkschaften rausholen, was immer geht. Aber die FlaM betreffen den Hauptharst der ArbeitertnehmerInnen nicht. Und die FlaM bleiben ja auch. Wenn ich mir als der viel gescholtene urbane Bobo, der ich ja bin, die Spitze erlauben darf: Es ist gerade der urbane Bobo, der in den Städten die SP in die Exekutiven wählt, derweil der Bauarbeiter sich die Stadt nicht mehr leisten kann und meist auch kein Stimmrecht hat.

 

Wenn du darauf bestehst: Streichen wir sozialliberal. Geschenkt. Aber linksliberal ist eine Partei im Schweizerischen Koordinatensystem alleweil, die dermassen gesellschaftsliberal, öko und europafreundlich ist. “Stramm rechts” ist ein Fehlurteil, dass durch einzelne Exponenten und Abstimmungen in Kongruenz mit der Rechten nicht besser wird. Als die Partei eben gegründet war, bekam sie von den Bürgerlichen viel Haue, weil es hiess, das sind doch auch wieder verkappte Rot-Grüne. Auch deshalb gerierte sie sich wie eine Musterschülerin: Brav ökologisch. Und super liberal-bürgerlich. Inzwischen scheint mir das entspannter. Gerade deshalb zieht sie einen Teil der Liberos an, die ja gerade erst anfangen. Und mit ihrer Dynamik hat sie enorm an Attraktivität auch für einen Linksliberalen wie mich gewonnen.

Kommentar hinterlassen