17.01.2014

Satire & Rassismus: Giacobbo, Inder & Peter Schneider 2000

Aus aktuellem Anlass ein Text über Giacobbo und ein Interview mit Peter Schneider, die ich in der SonntagsZeitung vom 01.10.2000 publizierte.

SVP-Mörgeli: Provokation um Satire
Giacobbo spricht von Missverständnis um Rajiv und von einem Trick des SVP-Hardliners, auf den man reingefallen ist
VON THOMAS HAEMMERLI
Rajiv ist «erkennbar an der höchst unflätigen, primitiven und fäkalen Sprache. Als gewinnsüchtiger Asiate ist er (…) charakterlos genug, sogar die eigene Schwester zu verkaufen. Rajiv wird den im Lehnstuhl grölenden Fernsehzuschauern als typischer Vertreter des indischen Milliardenvolkes dargestellt.» So empört sich SVP-Hardliner Christoph Mörgeli in seinem Hausblatt, der Gratiszeitung «Metropol». Und dann mahnt der Zürcher Nationalrat eines seiner liebsten Feindbilder, die Kommission gegen Rassismus, weil sie Viktor Giacobbo nicht «wegen fortgesetzter Beleidigung indischer Mitmenschen vor Gericht» bringe, derweil Bäretswiler Fasnächtler verurteilt worden seien. Die Kommission, deren Existenz bedroht ist – durch einen Mörgeli-Vorstoss zu ihrer Abschaffung – beschäftigt sich also mit dem Fall Rajiv. Die komische Kunstfigur des geschäftstüchtigen Inders, der nur Pidgeon-Englisch spricht, erscheint der Kommission in ihrer Mehrheit als problematisch. Michele Galizia, stellvertretender Kommissionsleiter, erklärt der «Südostschweiz»: «Wir wollen mit Giacobbo besprechen, ob Rajiv nicht auch ein paar positive Eigenschaften haben könnte.»
Auch die Kommission gegen Rassismus liebt Giacobbo
Selbstverständlich wird die Kommission augenblicklich zum Gespött der Nation. Michele Galizia fährt in die Ferien und ist selbst für die Kommissionskollegen unerreichbar. In «10 vor 10» winkt die indische Rassismusforscherin Cynthia Meier ab. Ihr gefalle Rajiv durchaus. Dummerweise war Kommissionsmitglied Meier nicht an der entsprechenden Sitzung. Wegen der ganzen Aufregung telefoniert Kommissionssekretärin Doris Angst Yilmaz mit Viktor Giacobbo und lässt sich erklären, dass in Giacobbos Sendung alle an die Kasse kämen, Rajiv ein liebenswürdiges Schlitzohr sei und am Schluss eher die Schweizer als die Dummen dastünden. Frau Angst betreibt ein stellvertretendes Comingout und erklärt, die Mitglieder der Kommission liebten allesamt Giacobbos Sendung. Und keineswegs habe man Mühe mit Rajiv, aber man müsse halt immer Abklärungen treffen, wenn sich jemand auf die Zehen getreten fühle.
Auch Harry Hasler wäre mit positiven Eigenschaften völlig langweilig
Nationalrat Mörgeli jubelt: «Giacobbo hat Recht, wenn er sagt, es komme schief, wenn Beamte sich um Satire kümmern. Die haben weder seine Satire begriffen, noch meine.» Denn Satire, so Mörgeli, sei auch seine Kolumne gewesen. Die Kommission sei schleunigst abzuschaffen, weil in einer freien Gesellschaft keine Meinungen inkriminiert werden dürften, weder bezüglich Rassismus, noch Pornografie, noch sonst etwas. Schliesslich versteht sich Mörgeli als «liberaler Anarchist».
«Die Kommission ist auf die Provokation von Mörgeli reingefallen», sagt Viktor Giacobbo. «Das ist aber ganz gut, weil das eine nötige Diskussion entfacht.» Angefangen bei der Forderung, der Figur Rajiv müssten positive Eigenschaften verordnet werden. «Das ist ein völliges Missverständnis» erklärt Giacobbo. «Mit «positiven» Eigenschaften würde die Figur langweilig. Oder Beispiel WWF: Die machen eine gute Kampagne für unbedenkliches Tropenholz namens FTS und wollten, dass Harry Hasler für die Kampagne erklärt: «In mein Auto kommt nur FTS-Holz». Harry Hasler ist aber eine Figur, die noch den letzten Tropenbaum für sein Auto nehmen würde.»
Missverständnisse sieht Giacobbo auch, weil häufig nicht genau hingehört werde, was Satire sagt oder weil man den Kontext nicht berücksichtige. «Die Satire-Zeitschrift «Titanic» druckte einmal ein Waechter-Titelbild mit einer nackten Frau, die einem Mann die Schuhe ableckt. Titel: «Endlich, die Weiber werden wieder normal.» Das ist komisch als Front der «Titanic», würde aber völlig falsch verstanden, wenn es sich ums Titelblatt der «Neuen Revue» handeln würde.»
Wie Satire und Komik zu lesen sind, zeigt auch die «Titanic»-Zeichnung von Martin Pfarr. Die Situation mit der Sondermann-Figur, die im Kochtopf der Kannibalen im Baströckchen steckt, ist dermassen absurd und spielt so eindeutig mit historischen Komik-Klischees, dass sie nicht als rassistisch bezeichnet werden kann.
«Es geht dabei nur noch um Versatzstücke wie den Inselwitz oder Frau-mit-Wallholz-Witze.»
Und wo wird Satire problematisch? Kommissionsleiterin Angst verweist auf die Karikaturen, mit denen in Ruanda die Massenvergewaltigungen angestachelt worden seien. Und Anarcho-Mörgeli bezog sich ja bei der Kommissionsschelte auf eine Schnitzelbank, die zu einer Verurteilung geführt hatte.
Bei Judenwitzen muss der historische Kontext berücksichtigt werden
«Uf de Bank da lyt jetzt Gäld parat/Für Jude, wo mer hät vertrybe/Du liebe Ma, ich gib dir en Rat/Tue sofort dis Vorhüütli schniide/Mit dem Bewys fahrsch dänn uf Bern/Tuesch dis Schwänzli em Bundesrat zeige/Wänn das nöd langed büezisch no en Stern/Uf’s Füdli und tanzisch en Reige.» So hiess der Vers aus Bäretswil. Strafrechtsprofessor Marcel Niggli stellt klar: «Man muss zwischen dem Gesetz und der Kommission unterscheiden. Die Kommission untersucht Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und gibt Empfehlungen ab, hat aber keinerlei rechtliche Befugnisse. Der Anti-Rassismus-Strafartikel ist dagegen sehr viel enger gefasst.» Trotzdem könne man den Vers darunter subsumieren, weil den Juden vorgeworfen werde, sich vom Bund Geld zu ertrügen. «Und was den Stern anbelangt, den man sich annähe, so darf man bei der Beurteilung den historischen Kontext nicht ausser acht lassen. Die Juden haben den Stern ja nicht getragen, um Geld zu ertrügen, sondern weil das Dritte Reich sie damit ausgrenzen und brandmarken wollte.» Das gehe eindeutig über normalen Humor hinaus, meint Niggli, die Verurteilung sei allerdings Ermessenssache, es handle sich um einen Grenzfall.
Weil Verstösse gegen die Anti-Rassismus-Norm ein Offizialdelikt sind, musste die Justiz jedenfalls zwingend aktiv werden. Viktor Giacobbo empfiehlt trotzdem: «Die Kommission und das Anti-Rassismus-Gesetz sollten zurückhaltend eingesetzt werden, besonders wenn es sich um künstlerische Äusserungen handelt. Man braucht nicht gegen jeden vorzugehen, der gedankenlos ein antisemitisches Fasnachtsversli vorträgt, und ihn damit zum Nazi zu machen. Es gibt genügend Fälle eindeutiger Rechtssextremisten.»
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«Wer zuerst «menschenverachtend» ruft, gewinnt»
Satiriker und Psychoanalytiker Peter Schneider über die künstliche Aufregung um angeblich Rassistisches

Wo ist die Grenze für zulässige Satire?
Peter Schneider: Das lässt sich nur am konkreten Fall im konkreten Zusammenhang bestimmen.
Könnte man statt eines Klischee-Inders auch einen Klischee-Juden darstellen?
Schneider: Es gibt, etwa in Hollywoodfilmen, genügend jüdische Knallchargen, die man kaum als antisemitische Karikaturen bezeichnen kann.
Karikaturisten wie Martin Pfarr verwenden Baströckchenneger mit Knochen in den Haaren.
Schneider: Wenn man im Kontext der «Titanic» Neger im Baströckchen darstellt, ist das nicht zuletzt ein Spiel mit den zuweilen pawlowschen Reaktionen, die manche Sujets hervorrufen und die nicht minder stereotyp sind als das Sujet selber. Der Pfarr-Neger ist ein Genre-Zitat und so wenig rassistisch wie Ostfriesenwitze ostfriesenverachtend sind.
Muss da die Kommission untersuchen?
Schneider: Man soll den Rassismus nicht da am schärfsten bekämpfen, wo er am unerheblichsten ist. Das schafft diese künstliche «Kassensturz»-Aufregung à la «Wer hundert Jahre jeden Tag eine Amalgamfüllung verschluckt, kriegt in 200 Jahren Hodenkrebs». Rassismus in Satire und Karikatur halte ich nicht für das dringendste Problem.
Gerne wird argumentiert, jemand fühle sich in seiner Würde verletzt.
Schneider: Meistens fühlt sich jemand stellvertretend für einen anderen in dessen Würde verletzt. Und wer als Erster «menschenverachtend» ruft, hat gewonnen. Im Übrigen muss selbstverantwortete Dummheit verspottet werden können, auch wenn sich jemand verletzt fühlt. Mimosenhaftes Getue kann nicht die Grundlage des Umgangs miteinander sein.
Wie soll man entscheiden, was erheblich ist und was nicht?
Schneider: Um zu entscheiden, was eine rassistische Karikatur ist, dürfte der gesunde Menschenverstand in der Regel ausreichen. Wer ständig vom «schlimmsten «Stürmer»-Stil» faselt, wenn ihm eine Karikatur nicht passt oder geschmacklos erscheint, der beweist nur, dass er keine Ahnung davon hat, was das antisemitische Hetzblatt Julius Schleichers war.
Es gab doch diese «Nebelspalter»-Karikatur vom Juden, der den Schweizer auspresst.
Schneider: Die hatte etwas Antisemitisches. Aber das kann man dann auch so benennen. Zum antisemitischen Ressentiment gehört auch dieses hingedruckste «Aber über die Juden darf man ja sowie nichts sagen». Dem sollte man nicht durch allzu grosse Betulichkeit in die Hände arbeiten.
Und der Fall Mörgeli?
Schneider: Es ging dem SVP-Ideologen erklärtermassen darum, die Anti-Rassismus-Kommission vorzuführen. Und das ist ihm augenscheinlich gelungen.

Interview: Thomas Haemmerli

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