Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 6.7.2011
Mit Grausen denke ich an die Scherereien, die meine Mutter mit ihrem griechischen Ferienhaus hatte. Für mich stand immer fest: Nie wieder Ferienhaus! Dann kauften Freunde rechtzeitig Wohnungen in Berlin, Prag oder Budapest, und ich dachte oft: Das hätte ich auch tun sollen. Letztes Jahr stand ich in Tiflis in einer wohlfeilen Altbauwohnung, allerbeste Lage, neunzig Quadratmeter, vier Meter hohe Räume, letzte Etage, Balkon. Ein Grossbürgerhaus unter Denkmalschutz, dessen Wohnungen von den Sowjets in zwei geschnitten wurden, weshalb der Gang mit den Nachbarn geteilt wird. Genauso wie das Klo.
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Der Verkäufer, ein charismatischer älterer Herr, versprach, mir beim Einbau eines Bades zur Seite zu stehen. Für den schwachsinnigen Verwandten, der dort hauste, habe er eine neue Wohnung. Wegen einer Operation müsse er noch nach Israel, danach sei er für mich da.
Ich kaufte. Die Operation misslang. Der Charismatiker verschied. Ohne dessen Autorität wandelte sich der schwachsinnige Verwandte vom netten und ruhigen Zeitgenossen zum renitenten Auszugsboykotteur. Ich sah mich schon in der Boulevardpresse: „Herzloser West-Geldsack wirft Behinderten auf die Strasse.“ Also redete meine georgische Vertrauensperson, eine studierte Psychologin, wochenlang auf den Mann sowie die weitere Verwandschaft ein, bis die Wohnung übergegben wurde.
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Ohne Charismatiker war auch das subtil austarierte Beziehungsnetz mit der Nachbarschaft aus dem Lot. Als meine Sanitär-Bastler das Bad einbauen wollten, stellte sich die Hausquerulantin quer und schluchzte, heimisches Kulturgut müsse gegen fremde Vandalen verteidigt werden. Ein Tipp an die Behörden machte aus meiner Renovation eine offizielle Sache. Deshalb brauchte es ein kunsthistorisches Gutachten, eine Fotodokumentation, architektonische Pläne, diverse Sitzungen sowie viel Geduld. Derweil wurde ich Spezialist für postsowjetische Sanitär-Verhältnisse. Die beiden Familien von gegenüber beispielsweise haben individuelle Klos. Allerdings stehen die zwei Schüsseln nebeneinander auf einem Podest (Abfliesshöhe!), so dass man morgens, zur Bad-Rashhour, Seite an Seite sitzen und simultan, ja synchron defäkieren kann.
Für mein Klo fehlt mir nur noch die Unterschrift einer Nachbarin. Für die zog ich alle Register. Mit Pathos wie ich es von den Tamadas, den Toastmastern an georgischen Banketten abgeschaut hatte. Ich erklärte meine Liebe zum Land und Volke Georgiens, besang die Gastfreundschaft, lobte Tafelfreuden und Wein. Ich versprach, meinen Landsleuten dieses Juwel zu zeigen, wofür ich aber, bitteschön, ein separates Scheisshaus benötige. Mit warmem Lächeln schob ich eine Gross-Packung Lindt-Schockolädchen nach. Dass die Nachbarin nicht mehr kategorisch Nein sagt, feierte ich als grossen Sieg.
Mag eine Ferienimmobilie auch kein Hort der Entspannung sein, so ist sie doch das ideale Medium, um sich mit den Finessen einer fremden Kultur vertraut zu machen.
Vermietung (ca. ab 2019)
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4 Kommentare
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andrea lehrer
lieber herr haemmerli, interessiert lese ich jeweils Ihren beitrag in der sonntagszeitung. dieses mal besonders interessiert, da ich letztes jahr erstmals meine georgisch/schweizerischen freunde in tbilisi besucht habe und begeistert war von land und leuten. sicher hat die persoenliche betreuung auch dazu beigetragen. aber eine hochzeit zu erleben, einen geburtstag auf dem land und dann noch das aelteste weingut besuchen (wein wird in amphoren im boden gekeltert, bischof ist ehemaliger architekt und baut die aerchologische staette mit seinen moenchen um) und dabei noch die schoenheit der landschaft zu erleben, das war fantastisch. werde wieder gehen. da Ihre wohnung aber erst 2019 vermietet wird :):), werde ich mich dann anderswo einquartieren.
meine freunde sind die familie des ehemaligen gc/fcb spielers mikheil kawelashvili, der selber noch hier in der schweiz wohnt.
falls Sie vielleicht doch mal mehr „lokalen support“ benoetigen fuer die renovation…
inzwischen freundlichen gruss und viel geduld
andrea lehrer
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andrea lehrer
lieber herr haemmerli
bitte meinen kommentar nicht veroeffentlichen. ist nur fuer Sie gedacht. danke und eine gute woche
andrea lehrer
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Christina Hubbeling
Lieber Herr Haemmerli, ich habe mich prächtig amüsiert und wünsche weiterhin viel Geduld. Hoch die internationale Kloschüssel!
4
Sabine
Lieber Herr Haemmerli, ich wollte schon immer einen Spezialisten für postsowjetische Sanitärverhältnisse kennenlernen – denn diese sind rar gesät. Mit größtem Vergnügen habe ich gelesen, was Ihnen selbst mit Sicherheit nicht so viel Spaß bereitet hat. Das Jahr 2019 ist noch fern, aber sollten Sie bis dahin in Ihrer Wohnung ein Einzelclo haben (das ist für mich absolute Bedingung), würde ich mich gern mal in Ihrer Traumwohnung einmieten. Ich bin auch freundlich zu den Nachbarn und bringe Schokolade mit.
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