13.03.2011  _  Kolumne + Charlie Sheen + Ein Selbstversuch; Facebook

Kolumnieren. Ein Selbstversuch.

Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 13.8.2011

Es ist, ja, gopferteli, ich bin mir sicher, es ist, nein, kein Mädchen. Es ist: ein Trend! Und der geht so: Statt dass ein Journalist irgendwelche Kretins befragt, die eh kaum sagen können, was ihnen so durch die Rübe scheppert, macht ers gleich selber und nennt es dann geschwollen «Ein Selbstversuch». Und weils den Journalisten zum Buche drängt, wird der Selbstversuch gerne auf ein Jahr ausgedehnt. Raus kommt dann «Mein Jahr im Kloster», wo verblüffende Lebensweisheiten enthüllt werden, etwa, dass ein Tag ohne Handy geruhsamer verläuft als einer mit, wo aber auch kritisch der gefürchtete Rosenkranz-Ellbogen Thema ist.
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Dabei hatte das Genre respektabel begonnen. 1961 berichtete John Howard Griffin in „Black like me“ wie er verkleidet als Schwarzer durch die rassisch segregierten Südstaaten reiste. Günter Wallraff arbeitete undercover beim Revolverblatt „Bild“und beschrieb als Türke Ali Deutschland aus der Underdog-Perspektive.
Heute sind die Selbstversuche beliebig, dauern dafür meist ein Jahr. A.J. Jacobs rapportiert ein Jahr, in dem er die gesamte Encyclopedia Britannica las, gefolgt von einem Jahr, in dem er streng gemäss der Bibel lebte. Ein Herr Brown setzte sich in den Kopf, während 100 Tagen geschlechtlich mit der Gattin zu verkehren.Täglich. Das mag Frischvemählten banal erscheinen, die Browns haben aber 14 Ehejahren auf dem Buckel. Da reicht die Seuxalappetenz meist nicht mehr sehr weit. Herr Brown aber stierte eheliche Pflichten in Permanenz durch und publizierte danach ermattet: „Wie ein Paar den TV aus- und für 101 Tage das Sexleben einschalte (Keine Entschuldigung!)“. Mit Grausen stell man sichs vor. Satan flüstert verführerisch: „Einfach einschlafen.“ Frau Brown bettelt wolllüstig: „Lass uns einen Krimi sehen!“ „Nix da!“ donnert Brown. „Apage Satanas! Jetzt wird Ehe vollzogen!“
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Deutsche Varianten heissen „Wie ich mal rot wurde – Mein Jahr in der Linkspartei“ und „Das Happiness-Projekt: Oder: Wie ich ein Jahr damit verbrachte, mich um meine Freunde zu kümmern, den Kleiderschrank auszumisten, Philosophen zu lesen und überhaupt mehr Freude am Leben zu haben [Gebundene Ausgabe]“. Gebunden wollen wir gerne glauben, auf ein Taschenbuch hätte ein solcher Bandwurmtitel kaum gepasst. Und um überhaupt mehr Freude am Leben zu haben, muss ich die Lektüre verweigern und mutmasse, dass brenzlige Probleme verhandelt werden wie „Mag mich Markus?“„Soll ich das Fruit-of-the-Loom-T-Shirt behalten?“ Dagegen läse ich gerne: „Das Happiness-Projekt. Oder: Wie ich ein Jahr damit verbrachte, mich um zwei Pornostarletts zu kümmern, meine Nasenscheidewand ausmisten, meinen Feinden die Leviten zu lesen und überhaupt viel Spass zu haben. Ein Selbstversuch von Charlie Sheen.“

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Die Lektrüe von „Black Like Me“ verdanke ich der Englischlehrerin im Gymnasium. Das Buch machte mir grossen Eindruck und ist unvergessen. Unlängst las ich, wie massiv Griffin nach der Publikation von rassistischen Arschlöchern drangsaliert und bedroht wurde, genaueres entnimmt man dem Vorwort der neueren Ausgaben.
Die beiden Bücher von A.J. Jacobs sind etwas langfädig, hochlustig aber ist ein Esquire-Text, der beschreibt wie Jacobs versucht, alle privaten und beruflichen Obliegenheiten nach Indien out zu sourcen.

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