19.12.2010  _  Fotos + Kolumne + Acapulco + boca chica + drogenkrieg + guerrero + mexico + Mexiko + muertos + Tote Facebook

Die Horrorhotelmaxime

Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 19.12.2010

„Du hast’s gut!“, schrieb Freund Pfister. Ich hatte als Standort Acapulco vermeldet, und er hat ja recht. Ich logiere mit Meersicht im frisch renovierten Boca Chica, einem Architektur-Schmuckstück aus den Fünfzigern. Vom Bettzeug bis zu den Illustrierten riecht alles nach Design. Mein grösstes Problem scheint die Entscheidung zwischen Klimaanlage und Ventilator.

Aber ach! Es beginnt mit Kleinigkeiten. In der Minibar findet sich alles, nur kein Wasser. Wasser am nächsten käme „Vitaminwater“, eine pipigelbe Flüssigkeit, die „Energy“ verheisst.
Kein Wasser, nur grausliges "Vitaminwater" in der Minibar
Statt je einem Nachttischlämpchen, ist über der Bettmitte eine Lampe, die für Guantanamo-Verhöre taugte. Bei nächtlicher Leselust sind Partnerverstimmungen vorprogrammiert. Adrenalin gedopt von der Streiterei liest man dann noch länger, und wird um sieben Uhr früh von der Hotelmusikanlage gepeinigt. Kurz darauf hocke ich mit schlechter, mit sehr schlechter Laune am Tisch. Beschallt von den sechs CDs aus dem Eternitäts-Wechselplayer. Ich würde tippen: “Acapuclo Ambient I – III“, „Ibizia Hangover“, „Ibizia Hangover (Remix)“, sowie „Goa Dünnpfiff Groove“.
Als Katastrophenschicksalsgemeinschaft verbrüdern sich die Gäste, und mit einer Übellaunigkeit als wäre ich Mörgeli leibhaftig, reklamiere ich, dass niemand, NIEMAND, Musik hören möchte, weil wir in den FERIEN sind! Ein Leidensgenosse warnt: „Passen Sie auf, was jetzt kommt.“
Jetzt kommen menschliche Pressluftbohrer. Weil der neue Belag nichts taugt, und weil Arbeitskraft nix Wert ist, schlagen Arbeiter mit Eisenstangen ihn wieder weg. Maximal zwei arbeiten gleichzeitig. Offensichtlich gilt „Haemmerli Horrorhotelmaxime“: Bauarbeiten dauern immer länger als deine Ferien.

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Weil man in Acapulco die Felsenspringer sehen muss, verfüge ich mich in die Touristenfalle mit der besten Sicht. Ich sehe mutige Mannsbilder in die Fluten stürzen, höre aber nichts, weil aus den Lautsprechern „The Eye of the tiger“ jault. Meeresrauschen my ass!

Und auch sonst ist die Stimmung in Acapulco nicht die Beste. Unlängst wurden die Leichen von 18 ermordeten Touristen gefunden, die man mit Mafiosi verwechselt hatte. In der Nachbarprovinz tobt der Drogenkrieg so heftig, dass die Weiterreise nach Michoacan unmöglich ist.

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Also zurück nach Mexico City, wo es nachts fünf Grad ist. Weil niemand eine Heizung hat, sitzt man tapfer in Windjacken an Diners und kippt Tequila. SMS an Pfister: „Hab’s gut, aber einfach ist‘s auch hier nicht.“

Nachtrag: Justamment als ich zurück nach México D.F. fuhr, machte man in Acapulco einen besonders grausligen Leichenfund bzw. Leichenteilefund, denn – wie ich den Fotos des Fachblattes Alarma entnahm – haben die Killer ihre Opfer zerstückelt und aus den Leichenteilen gleichsam kleine Skulpturen geschaffen. Der Horror der Fotos verkleistert die Hirnwindungen, ein Tequla spült sie wieder frei und weiter geht’s.

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