10.10.2010  _  Kolumne + Ausnüchterungszelle + Esther Maurer + Mao + Recht auf Rausch Facebook

Mao, Macht & Trunkenbolde

Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 10.10.2010

„Á Zurich“ sagte ich dem Fahrer, der mich beim Autostopp mitgenommen hatte. „Wen du nach Zürich willst, musst du zurück nach La-Chaux-de-Fonds. Ich fahre in die ‚Franche Montagne“ rauf. Trotzig entgegnete ich, dann würde ich halt von dort aus weiter stoppen. Ich war trunken und offensichtlich nicht ganz zurechnungsfähig. Der spanische Gastarbeiter erbarmte sich meiner, und auf seiner Couch durfte ich den gröbsten Rausch ausschlafen.
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La-Chaux-de-Fonds war die letzte Station einer Velotour gewesen. Man feierte dort gerade die „Fête de l’horloge“ und jeder Verein hatte einen Stand. Mit Weisswein! Romandie! Delamuraz! Ich verbrüderte mich mit den Compatriotes, bis ich – es muss Ende der Achtziger gewesen sein – am GSoA-Stand landete. Stets war mir Pazifismus weltfremd erschienen, und die Zeiger meiner Weissweinuhr waren schon dramatisch vorgerückt. So kaufte ich am Kirmesstand für alle Kinder Plastikmaschinengewehre. Dann hielt ich den GSoAten eine Brandrede über Maos Diktum, dass die Macht aus den Gewehrläufen komme. Und gab ein paar Halbe aus zur zur Festigung der revolutionären Achse La-Chaux-de-Fonds-Züri. Den Tiefpunkt erreichte meine Popularität, als ich alle Damen mit „Pia“ anzureden begann, worauf meine Begleiterin, die echte Pia, erzürnt abrauschte. Der Rest verliert sich im Promillenebel, jedenfalls griff mich irgendwann die Polizei auf, fuhr mich kurzerhand ins Grüne, wo ich ausgesetzt wurde und in die erstbeste Richtung stoppte.
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Die pragmatischen Romands fielen mir wieder ein, als ich die Artikel über Zürcher Ausnüchterungszellen las, die alle die gleichen PR-Häppchen referierten. (Kein Wunder, bezahlt niemand mehr für Zeitungen.) Die „Ausnüchterungszellen“ sind ein Überbleibsel der autoritär-gestrengen Alkoholfeindin Ex-Polizeichefin Esther Maurer und ein Paradebeispiel für staatliche Misswirtschaft. Bis drei Stunden zahlt man 600 Franken, wenn‘s länger dauert 950, dazu kommen, wenn die Zelle arg verschmutzt sei, nochmals 350 Franken. Das, so der zuständige „Projektleiter“, sei aber nicht kostendeckend, eine Nacht komme auf 1600 Franken. Hallo? 1600 um den Rausch auszuschlafen? 350 Stutz um eine Zelle zu putzen? Hergehört, Polizeibürokraten, für rund 2000 Stutz pro Nase können Sie ihre Fälle ins Hotel Dolder senden. Oder zu mir nach Hause inkl. einmal aufs Parkett reihern.
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Ehrlich wäre: Wer sich in Zürich volllaufen lässt, kommt in die Kiste und zahlt empfindliche Bussen. Und falls dieses Geld nicht in der Stadtkasse landet, sondern mit „Putzen“, Projektleitern und Schnickschnack verjubelt wird, dann ist das ebenso skandalös, wie dem mündigen Bürgern sein Recht auf Rausch zu verwehren.

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