20.06.2010  _  Kolumne + Art Basel + Mini-Bar + SBB + SBB-Chef Meyer + Speisewagen Facebook

Der SBB-Speisewagen als fliegender Holländer

Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 20 Juni 2010

Sitzt man in Mexico Citys U-Bahn, ist es wie weiland bei Rudi Carrells «Am laufenden Band». (Für jüngere Leser: In Carrells TV-Show fuhren Alltagswaren wie Kaffeemaschinen und Weingläser am Gewinner vorbei; dem gehörte, was er innert 30 Sekunden benennen konnte.) In Mexico versorgen einen ambulante Verkäufer mit Getränken, Lesestoff und Kugelschreibern. Es mag manchmal aufdringlich wirken, aber befindet man sich in der Versorgungswüste helvetischen öööööööööVauuuuus, so erscheint Mexico als Paradies, das belegt, wie hocheffizient Markt und Privatinitiative im Kleinen funktionieren. Ganz abgesehen davon, dass in Mexico (wie in Taiwan oder in Chinas Shenzhen) die Waggons nicht so schmuddlig sind wie bei den SBB.

Jedenfalls sass ich dienstags in einem späten Zug nach Zürich. Hinter mir lag Basel, das Epizentrum zu Kunst geronnenem Gestaltungswillen, der mein Denken herausgefordert, Bedeutungsebenen verschoben und subversiv unterlaufen hatte, der provoziert und evoziert, der geforscht und untersucht hatte. Hinter mir lagen die Marathonvideos der Art Unlimited, die in ihrer unlimitierten Dauer kongenial das Ausstellungsmotto erfahrbar machten. Entsprechend gross war mein Durst an Folgevernissagen, Cocktails und Festivitäten gewesen.

Im Zug hätte ich gerne weitergezecht oder wenigstens mit einem Mineralwasser die trockene Kehle gespült. Doch weit und breit war kein BarWägelchen. Mir gegenüber sass der Chef dieses Blattes, und beide erinnerten wir uns, wie wir vor Jahren (vermutlich gab es noch Raucherabteile!) in einer gut lancierten Grosssippschaft in Basel zugestiegen waren und sämtliche Alkoholika des SBB-Wägelchens aufgekauft hatten. Selbst den Kirsch. Diesmal aber war Ebbe. Und wie die SBB-Heimseite erklärt, habe ich nicht ständig Pech, nein, Minibars werden generell um 19 Uhr stillgelegt, Speisewagen fahren ab 21 Uhr unbemannt wie der fliegende Holländer durch die Gegend.

Da wirkte wahrscheinlich die Achse des Bösen: Hier die Gewerkschaftskretins, die fanatisch jeden Job bekämpfen, der in die Dämmerung lappt. Da die Managementbürokraten, die nur isolierte Kostenstellen kennen, derweil Service und Kundennutzen ihnen kein müdes Arschrunzeln entlocken. Fazit: Bahnfahren wird gleichzeitig immer ungemütlicher und teurer. Hergehört, SBB-Boss Meyer: Wenn Sie unfähig sind, nach 19 Uhr Mineralwasser, Bier oder Espresso (für fast vier Stutz!) zu verkaufen, dann lassen Sie private Kleinunternehmer ran! Notfalls die Spezialisten aus Mexicos Metro, die erklären Ihnen, wies geht, oder machens gleich selber.

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