Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 22.11.2009
Es war Frühling 1989, der Ostblock welkte, und in Berlin revoltierten die Studenten. In Sachen Theorie und Politik modebewusst, beriefen auch Zürichs Studis eine Versammlung ein. Gelangweilt nahm ich teil. Schulpolitik hatte mich nie interessiert, und weil ich schon an den Achtziger-Feldzügen teilgenommen hatte, verstand ich mich als abgebrühten Revolteveteranen. Dann landete ich in an einer Vollversammlung in der Aula, wo gerade diskutiert wurde, ob man den Lichthof besetzen solle. Manche mahnende Stimmen warnte davor, mit einer Besetzung in die Illegalität abzugleiten. Weil mich der Hafer stach, stellte ich mich als gerichtlich beglaubigten Hausbesetzer vor, erklärte, dass es keinen Straftatbestand «Besetzung» gäbe, sondern höchstens Hausfriedensbruch, was aber bei Studis, die ja eh an die Uni gehörten, nicht griffe. Der Lichthof wurde besetzt. Ich avancierte zum Grossmaul der Unitopie-Bewegung.
Mit Wehmut erinnere ich mich an menschliche Nähe, ja, Wärme gelegentlich des Sleep-in im germanistischen Seminar. Der äusserst ungeschickt agierende Rektor, Hans Heinrich Schmid, gab ein prächtiges Feindbild ab, ansonsten weiss ich nicht mehr, was wir bekämpften. Vermutlich die Verschulung sowie Gebühren, auf jeden Fall aber Hans Heinrich Schmid. So vertrödelte ich zwei Semester.
Trotzdem möchte ich die Unitopie nicht missen. Und beschwöre jeden Studiosus: Entkommen Sie der Bolognese-Fachidiotie! Werden Sie konkret! Fordern Sie! Demonstrieren Sie! Boykottieren Sie! Organisieren Sie Sleep-ins! Denn: Revolten sind seriöses Networking (kürzlich war ich in fernen Landen Gast eines Diplomaten, mit dem mich justament die Unitopie verbindet); besonders, wenn man es weniger mit Bier, Käppis und Verbindungsschnickschnack hat. Die langfädigen, nutzlosen Debatten in Ad-hoc-Arbeitsgruppen bereiten einen perfekt vor auf Redaktionskonferenzen, Steuerungsausschüsse und VR-Sitzungen. Und die Unmöglichkeit, gegen das bürokratische Monster zu siegen, lehrt einen die Zen-Weisheit: «S Wichtigscht isch: Mitmachä und dä Plausch ha!» (Z. B.: Sleep-in! Knuffknuff!)
Investieren Sie also langfristig! Wenn 2039 Studis gegen die Kalkutta-Reform aufbegehren werden, dann können Sie sich in rührseligen Reminiszenzen an 2010 suhlen, derweil der Streber, der damals brav das Seminar «Neuere Tendenzen der Pentateuch-Rezeption» absolvierte, wieder nix zu sagen hat. Ceterum censeo Hans Heinrich Schmid esse delendum.
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P.S.
Damals war ich in der Mediengruppe und wahrscheinlich habe ich deshalb noch ein paar Fotos. Keine Ahnung, von wem die sind, aber falls es wer noch wüsste: Bitte melden. Und falls sonst noch jemand Fotos von damals hat: Ich lade sie gerne hier auf die Seite.
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Meine Sonntagskolumne schreibe ich jeweils Mittwochnacht und gebe sie am Donnerstag ab. Am Freitag las ich dann einen Kommentar von Constantin Seibt, den ich seit der Unitopie kenne. Bis in die Wortwahl gleicht Constis Kommentar meiner Erfahrung.
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Gleichzeitig zur Unitopie demonstrierte die „Wo-Wo-Wohingä!“-Bewegung, mit der man sich zuweilen vermischte. So kam das „Kapital schlagen!“-Transpi ans Konzert im besetzten Seminar der Uni. Auf dem Bild: DJ Styropor aka Styro 2000, die heutige Gewerkschaftsfunktionärin Ursula Häberlin udn Samuel Iseli, der erst kürzlich als Gründer des Kurierdienstes Veloblitz durch die Medien geisterte.
PS 2:
Weil ich meinen ganzen Papierkram gescannt habe, ist so manches noch da. So die Unitopie-Zeitschrift Unikum. Mir scheint, das war eine Publikation des linken Studentenverbandes VSU, die wir übernehmen konnten. Darin stellen sich die Arbeitsgruppen vor, Andrea Caprez hatte mir ein schmissiges Titelbild gezeichnet, Emanuel Tschumi dürfte gelayoutet haben. Es klingt von sehr fern, wenn ich meinen schwärmerischen Text „Grau ist alle Theorie“ wieder lese, den ich ihn der Absicht geschrieben hatte, neuen Teilnehmern vor allem gute Grooves, statt Arbeitsgruppendebatten in Ausicht zu stellen. Und dann staunt man doch, wie viele AGs es gab und was da alles gemacht wurde. Die schwullesbische Gruppe zart & heftig gibt es übrigens noch heute.
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Auch in der Zeitschrift des bürgerlichen Studentenrings konnten wr uns vorstellen. Mich interessierte damals unter anderem, wie man das abgegriffene linke Normvokabular meidet, und das, was man tut zu reformulieren, weshalb ich beispielsweise in dem Artikel Professoren als Staatsangestellte schmähte.
Man darf nicht vergessen, Anfang 1989 war der kalte Krieg noch präsent. Die Fichenaffäre, in der aufflog, dass geheime staatliche Organe jeden erfassten, der ein wenig kritisch war, rollte eben erst an. Ich erinnere mich noch, wie der Journalist der NZZ an unserer Pressekonferenz, an der wir alle ein Schildchen mit dem vollen Namen vor uns hatte, aufgeregt als erstes all die Namen notierte.
Unitopie-Artikel für den Studentenring
PS 3:
Das Wichtigste, was in Constantin Seibts Kommentar steht: Revolten sind immer eine kurze Zeit heftiger Gefühle, in denen die Schranken zwischen vielen Leuten fallen und das Leben aufregend ist. Deshalb ist der Kater danach immer so gross.
Ansonsten würde es mich freuen, falls sonst noch jemand ein paar Zeilen Erinnerung oder eine Anekdote hintippen würde.
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PS4: Inzwischen hat mir Andi Gredig freundlicherweise seine Seminararbeit zum Thema Unitopie überlassen. Sie sei kein Meisterwerk, schreibt er, aber immerhin hat sich jemand die Mühe gemacht, nachzusehen und zusammen zu tragen, was wann war.
2007 Unitopie-Seminararbeit von Andi Gredig
PS 3: Artikel der Gruppe Sponsoring, bei der Samuel Dubno mittat, heute, 2014, GLP-Gemeinderat und Stadtratskandidat
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6 Kommentare
1
Richard Blättler
Ja Hallo Thomas
ich kann mich gut erinnern, dass ich als blutiger Studi-Anfänger zufällig in die Besetzung des Germanistischen Seminars reinlief. Meine erste Tat war die Gründung einer AG Theater. Mitten in der Nacht trafen sich diejenigen, die bereit waren zu proben. Ich glaube, wir waren etwa zu Dritt. Nun Theater war ja trotzdem genug. Danach wollte ich eine andere AG gründen und nannte die Information, weil ich das so interessant fand. Erstaunlicherweise war das ein voller Erfolg. Du warst ja auch in der AG und weitere. Erst Tage später bemerkte ich, dass die meisten andern das ganz anders verstanden als ich, nämlich publizistisch, wovon ich keinen Schimmer hatte. Überhaupt verstand ich nicht viel, doch das störte nicht. Dabeisein ist schon viel und ich lernte schnell. Am nachhaltigsten hat mich geprägt, dass ich immer korrigiert wurde wenn ich nur in männlichen Formen sprach. Das tue ich bis heute nicht mehr. Doch noch wichtiger war, dass ich mit einem Schlag die halbe bewegte Universität kannte und die mich. Das hat mein Netz enorm erweitert und mir die wichtigsten Erlebnisse und Lerneffekte im Studium verschafft. Ich will nicht bluffen, aber ich war an sehr wenigen Vorlesungen, habe kaum Bücher gelesen und noch weniger Fachartikel. Und doch war mein Studium gut und eine optimale Vorbereitung auf das was da noch kam …
2
Erika Hebeisen
Na ja, als „Unitopie-Chefin“ habe ich mich nie verstanden – schon gar nicht damals vor so vielen Jahren. Während der „Unitopie“ hätte ich die Bezeichnung sofort als Widerspruch gegeisselt. Heute wundert es mich lediglich, dass ich so erinnert werde.
Übrigens waren heute einige der damals in der „Unitopie“ heftig Bewegten an der CD-Taufe von Schtärneföifi – alle mit Nachwuchs selbstverständlich. Aber nicht wegen den politisch bewegten Semstern sind wir alte Eltern kleiner Kinder geworden. Und sowieso: Hämmerli hat natürlich wieder einmal recht mit seinen Einschätzungen und vor allem seinem Appell an die aktuell protestierenden Studis: Eine bessere Schule fürs Leben ist an der Uni nicht zu haben!
PS: Foto ist von Gregor Niemeyer – meine ich – ein Freund von Res Zangger, der ja auch im Bild ist.
3
Monika Dommann
Viele sah ich da das erste Mal und viele Jahre bevor ich mich erstmals getraute an der Uni das Maul aufzureissen: Auch Erika natürlich, die damals noch blond trug und Haemmerli in weissen (?) Bluejeans….. ich kann nicht mal sagen, ob ich die Braunhaarige bin, die stumm vorne links sitzt. Ich war dann bezeichnenderweise in der AG, die sich um das Fest, sprich: das Fressen und Saufen kümmerte. Die vielen Sprachregeln (damals der Lackmustest der inner circles – die feministischen waren die härtesten) wollten sich bei mir nicht recht einschleifen und doch versprach die Uni aufregender zu sein, als das Leben im Dorf, wo ich herkam und die Jobs, mit denen ich mein Studium verdiente. Dass ich dann irgendwann nicht mehr alleine Bücher verschlang, mich immer öfters zu Wort meldete und die Seminar- und Abschlussarbeiten zu meinen eigenen Projekten machte, war wohl im Rückblick nicht wegen, sondern trotz des Angebots im Vorlesungsverzeichnis, wo die Highlights rar blieben. Immerhin gab es zum Beispiel Braun: Da ging frau nicht bloss hin, weil zukünftige Busenfreundinnen und coole Jungs auch da waren. Die Lust an der Uni kam dann in den Lesegruppen, die aufblühten. Da wurde das getan, was Menschen um die zwanzig hoffentlich immer tun werden, wenn sie sich plötzlich an einem Ort finden, wo ihr grosser Hunger nicht gestillt wird: in grossen Töpfen Bolognese kochen, Fusel trinken, flirten, streiten und sich dabei neue Welten zusammenlesen. Zwanzig Jahre später bin ich Bestandteil des Vorlesungsverzeichnisses der Uni Basel und kriegte die Tage E-Mails von ein paar Studis, die sich während der Aulabesetzung in Basel (die ganze Uni ist inzwischen ja wireless vernetzt) bei mir ganz höflich vom Seminar abmeldeten („da ich mich an der Besetzung der Aula beteilige und hier stark involviert bin“). Die Studentinnen von 2009 sammeln Creditpoints, jobben in Call-Centers, pendeln von Praktikum zu Praktikum, arbeiten dabei beständig an ihrem Curriculum Vitae und sind eine Nummer in SAP Systemen. Als Dozentin verwalte ich Module ihres CVs und vergebe Punkte, kreuze pass oder fail an, feilsche um Punkte und um Absenzen und hoffe doch auch, dass manche dabei auch coole Girls und Busenfreunde treffen und Hunger auf mehr kriegen.
4
Constantin
Wow. Was für ein nettes Foto – und darauf sehen wir alle aus, als hätten wir uns damals noch nie rasieren müssen. Im Gegensatz zu Dir: In meiner Erinnerung trugst du einen Lateinlehrer-Kranzbart und weisse Hosen, als du dich auf die Kanzel geschwungen hast und dem revolutionären Subjekt eingeschärft hast, Paasport immer dabei zu haben, aber den Bullen nicht einmal die Uhrzeit zu verraten.
5
haemmerli (Autor)
Right, stimmt, ich hatte etwa fünf Paar weisse Hosen, die jeweils schon am ersten Tage aussahen wie Hölle.
Ausserdem haben die Kollegen Ulrich Goetz und Doktor Balz Spörri mit Fug moniert, dass es bei der xy-Chromosomen Struktur von Hans Heinrich Schmid natürlich „delendum esse“ heissen muss und nich „delendam“.
6
Peter Würz
Ich finde, Aula-Besetzungen sind grundsätzlich rücksichtlos. So hatte die einwöchige Beanspruchung dieses grössten Raumes an der Uni Basel durch 40 Studierende gravierende Folgen. Neben der Störung des regulären Studienbetriebes musste die Unileitung 1200 bis 1600 zahlende Besucher der Senioren-Universität in kleinere externe Sääle mit entsprechender Ausfallquote umquartieren. Diese Summe ergibt sich aus 2 doppelt geführten Wochenkursen à 300 bis 400 Personen der Grosseltern-Generation. Wo bleibt da die Verhältnismässigkeit? Der Verfasser hätte besser daran getan, seine Reminiszenzen an eigene Studentenzeiten zu überdenken, anstatt flapsige Vorschläge zu machen. Dann wäre er mit seinem fehlerhaften Latein bald zu Ende.
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