Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 10.05.2009
Mit Sprache ist es wie mit der Gesundheit. Plötzlich wütet wieder so eine Schweinegrippe. Ständig schwirren Sprachviren und Wortschädlinge umher, bis etwas bösartig mutiert und zu massenhafter Bedrohung von Verständlichkeit, Commonsense und Stil wird. Paradebeispiel ist momentan das Dummdeutschwort «proaktiv», das sich seuchenartig ver breitet. Verzeichnete die Schweiz im Jahr 2000 57 Fälle, in denen Zeitungsartikel mit «proaktiv» konta miniert waren, so ist die Zahl allein im ersten Quartal dieses Jahr schon auf das Vierfache hochgeschnellt! Verursacher ist ein besonders heimtückisches Virus, denn die daran Erkrankten merken selbst nichts. Ansteckung ist selbst durch Qualitätsschutzmasken hin durch und via elektronische Kommunikation möglich.
Wer noch nicht befallen ist, weiss natürlich, dass «aktiv» schon bedeutet, dass etwas zu tun sei. wenn man benennt, was denn aktiv zu tun sei, braucht es auch kein angepapptes «pro». Wir von der «Fachstelle für Stil und andere Sprachpräventions fragen» raten ja, selbst die Vokabel «aktiv» nur sparsam zu verwenden. Anstatt zu deklamieren, jetzt müsse «aktiv», ja «proaktiv» die pakistanische Atombombe gesichert, proaktiv das Bankgeheimnis gerettet oder proaktiv der Salat gewaschen werden, reicht es, zu erklären, es sei die Bombe zu sichern, das Bankgeheimnis zu retten, der Salat zu waschen. Das klingt nicht so gewichtig, zwingt aber zu Genauigkeit. Und generell gilt: Sobald sich jemand hinter Neologismen à la «proaktiv» versteckt, statt zu sagen, was Sache ist, lautet die Diagnose auf akuten Dummdeutsch-Verdacht.
Nun behaupten Verschwörungstheoretiker im Internet, die «Proaktiv»-Epidemie sei von der Dudenindustrie und Deutschlehrermultis in Geheimlabors gezüchtet worden, um mit dem Verkauf von Gegenmitteln abzukassieren. Das ist Nonsens! Die Krankheitsentwicklung lässt sich nachzeichnen: Der Begriff geht auf die Dreissigerjahre zurück, wurde dann vom Psychiater Viktor Frankl zu einer Kleintheorie hochgestemmt und schaffte es vor 20 Jahren in den Selbsthilfebestseller «Seven Habits of Highly Effective People». Da verrate ich Ihnen doch gerne auch einen Tipp aus meinen HaemmerliEffizienzseminaren®: Nie, nie lesen effiziente Leute derlei Selbsthilfeschmonzes, wenn schon, dann verfasst man derlei gleich selber. Und jetzt sollten Sie proaktivstens die Zeitung zu Ende lesen und Ihren Kaffee austrinken.
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4 Kommentare
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Karl Hotz
proaktiv ist schon richtig. pro heisst auf Lateinisch ja in erster Linie „für“ und „an Stelle von“. Anders gesagt: Proaktiv heisst übersetzt „an Stelle von aktiv“ – und genau das ist es doch. Nur wissen das jene, die den Begriff heute inflationär benützen, wohl nicht. Sie sprechen halt wirklich Dummdeutsch.
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haemmerli (Autor)
Sehr geehrter Herr Hotz
leider kann man im kleinen Raum einer Kolumne zwar schön polemisieren, nie aber alles sagen, was man möchte und auch nicht allem gerecht werden. Einer meiner prägendsten Lehrer, der Philosop Lübbe, hat uns beigebracht, Ideen und Theorien erst stark zu machen, bevor man sie auseinandernimmt.
Wikipedia plausibilisiert den Begriff „proaktiv“ so:
Man kann das so sehen. Aber selbst wenn man den Begriff so auslegt, ist er ein untauglicher, weil man damit im Appellhaften und Nebulösen bleibt, und eben nicht richtig bennent, was, wie und warum man etwas handlungsbejahend und vorausschauend tun soll. Auch wenn man „proaktiv“ in Texten mit dieser wohlwollenden Lesart übersetzt merkt man sofort: Der Begriff besagt praktisch nix, gehört zum gängigen Saisonwichtigtuervokabular und ist eben deshalb ein klarer Fall von Dummdeutsch.
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haemmerli (Autor)
Sie fragen knüppelhart, wir antworten fadengerade!
Harry S. (Name dem Blog bekannt) fragt mich per Mail:
Herr S! Da ich weder weiss wie der Grad meiner Erbärmlichkeit noch wie das Ausmass meiner Wurmhaftigkeit zu quantifizieren oder qualitativ zu fassen wären, gebe ich Ihnen doch gleich noch eine weitere Kostprobe, damit sie dann auslegen können, warum ich gerade so und nicht anders herablassend sein musste und muss.
Fangen wir an mit dem Respekt. Obzwar Respekt nicht zum Dummdeutschen gehört, weil klar ist, was damit gemeint ist, gehört auch die Vokabel „Respekt“ zum momentan gängigen Modevokabular. Mir ist das absolut zuwider, weil alle Welt meint, ihr sei Respekt geschuldet, was in einer immer heterogeneren Welt äusserst schwierig ist und die freie Debatte verunmöglicht.
Jüdische Ultras, muslimische Fundis, christliche Scharfmacher, sie alle verlangen Respekt für ihre Spleens und meinen damit: Alle Welt habe vor ihrem Schwachsinn den Hut zu ziehen, müsse nach ihrem Gusto leben und habe sich jedweden Spotts zu enthalten.
Wenn irgendwelche Arschlöcher in Ehrenmoden ihre Verwandten umbringen, wenn junge Schläger ihre Taten erklären müssen, dann nennen die meisten mangelnden Respekt. „Herr Richter, der hat mich so angeschaut… Ich will einfach nur ein bisschen Respekt, wa?“
In den siebzigern und bis Mitte der Achtziger, als man noch mehr zum Psychologisieren neigte, war die exkulpierende Lieblingsvokabel für den Tunichtugut „Frust“. „Aus Frust!“, sagten Schläger, wenn sie gefragt wurden, warum sie Herrn X zu Klump gehauen hatten.
Ich bin gegen Respekt, stattdessen plädiere ich für Toleranz, die beinhaltet, das jedermann auch Spott aushalten muss. Ich weise weit von mir, dass es irgendeinen Respekt gäbe, den ich notwendigerweise jemandem schulden würde. Abgesehen davon, dass die Forderung eh absurd ist: Frankl ist tot, kann sich also ob eines allfälligen Mangels an Respekt nicht mehr grämen.
Schwierig am Kolumneschreiben ist, dass man kurz sein und das Meiste weglassen muss. Man kann also nicht die Viktor Frankl Geschichte erzählen, die sowieso nicht in diese Kolumne gehören würde. Dass Frankl ein braver Mann war, der sich abgemüht hat, den Horror, der ihm im KZ widerfahren ist zu ergründen und Wege zu ersinnen, wie sich Gleiches auf immer verhindern lässt: geschenkt. Denn damit, dass der von ihm zwar nicht erfundene, aber mittels einer von ihm weaonnwn kleinen Theorie in die Debatte eingeführte Begriff „proaktiv“ plötzlich via eine Selbshilfeschmonzette populär und in der Schweiz von 2009 zum modischen Schmäh wurde, damit hat weder Frankls Schicksal noch seine Theorie etwas zu tun. Es gehört lediglich zur Begriffsgeschichte.
Als Wiener Intellektueller dürfte Frankl übrigens harte Debatten und auch Spott gewohnt gewesen sein, als Sokratiker, der er auch war, dürfte er Widerspruch geschätzt haben.
Wenn jemand sich hier wegen mangelnden Respekts von Wurm gegenüber Erfolgsautor beschweren müsste, dann wäre das Stephen Covey, der Autor des Bestsellers „The Seven Habits of Highly Effective People“. Und natürlich die eigentlichen Zielscheibe meiner paar Zeilen, nämlich die Schweizer Schreiberlinge und Politiker, die von der Schweinesprachegrippe in Form der „proaktiv“-Epidemie erfasst sind.
In der Hoffnung, ihre Neugier gestillt zu haben, grüsst Sie in aller nötigen Erbärmlichkeit, Ihr alter Wurm
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Max Dietrich
zu ihrer Abhandlung über „proaktiv“: selbst unsere gouvernamentale Tratschtante M C-R. entblödet sich nicht, in einem Fernsehinterview dies Unwort zu gebrauchen. Grüsse Max Dietrich
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