Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 12.04.2009
Seit jeher hasse ich Hipster-Lokale. Ich hasse die Kanaillen, die als Bedienung figurieren, derweil sie doch eigentlich Model/Schauspieler/Kolumnist sind, weshalb der Kundschaftskretin ihnen verdammt nochmals ein wenig Anerkennung, Dankbarkeit, ja, auch Respekt schuldet.
Ich hasse Hipster-Lokale weil mir beim Zahlen immer scheint, mit würde das Fell über die Ohren gezogen, ganz besonders hasse ich Hipster-Lokale aber, weil permanent Musik vor sich hinorgelt und weil die exaltierten Kanaillen, die den Schritt vom Kellner-Mimen zum Gast geschafft haben, vor lauter Stolz stets einen Höllenlärm veranstalten. Ich hasse den Lärm, denn ich höre nicht mehr so gut.
Wenn ich mich über Tischplatten beuge und irgendwelchen Damen ins Decollté rage, dann nicht weil mich ihr Busen so sehr begeisterte, sondern weil ich sie nicht verstehe. Ich meine: akustisch. Immer öfter forme ich eine Hand zur Hörmuschelerweiterung und kippe das so vergrösserte Ohr zum Gegenüber, das irgendetwas vor sich hinmurmelt. Öfters herrsche ich verzagte, introvertierte Charaktere an, um Christi willen LAUTER ZU SPRECHEN! WEIL UNSEREINER VERDAMMT VIEL ROCK’N’ROLL AUF DEM ZÄHLER HAT!
Damit bin ich in guter Gesellschaft. Alle Zahlen zeigen: Schwerhörigkeit nimmt zu. Nicht nur in Rentnernationen wie der Schweiz, denn jeder Dritte Hörfall rührt nicht von altersbedingter Köpermaterialermüdung her, sondern von Lärmschädigungen. (Nein, „Fachstelle für Alkohol- und andere Hörprobleme“, die Schweiz braucht keine neue Studie, die belegt, dass es dringend Massnahmen, vor allem aber Folgeforschungen braucht.)
Von Krach kann ich ein Liedlein singen. In Vietnam ersetzt Gehupe verbindliche Verkehrsregeln. Und weil eh kein Schwein aufs Dauergehupe reagiert, bietet der Hupenfachhandel immer stärkere Modelle feil. Als eingefleischter Städter jubelte ich troztdem als ich aus dem ruhigen, aber sterbenslangeweiligen Villenvorort Anphu an eine der lärmigsten Strassen im Zentrum Saigons umziehen konnte – zumal ich’s ja eh nicht so richtig höre. Und langfristig gilt wohl, was Who-Gitarrist Pete Townshend auf seine Frage, was er wegen seiner Schwerhörigkeit tun könne, von einem Arzt gesagt wurde: „Lernen Sie Lippenlesen!“
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