26.04.2009  _  Kolumne + BAG + Billag + Cablecom; Pups + Facebook Facebook

Brenzlig & hochbrisant: Billag bombardieren

Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 25.04.2009

In meiner Mailbox finde ich Post von Get-Abstract, einer Firma, die ich schätze, weil sie Wirtschaftsbücher auf ein paar Seiten zusammenfasst. Beim heutige Titel „Erst denken, dann senden“ hätte ich aber nicht einmal des Résumés bedurft. Der Titel selbst löst schon das hochbrisantbrenzlige Untertitel-Rätsel „Die peinlichsten E-Mail-Pannen und wie man sie vermeidet.“ Beispiele von vorschnellem Senden (E-Mail praecox), kennt jeder. Ich erinnere gerne an die damaligen FDP-Chefin Doris Fiala, die ein Intrigen-SMS ausgerechnet an ihre Zielscheibe sandte.

Gut, kleinlaut müsste auch ich hier – aber unter Betonung des gewohnheitsrechtlichen Beichtgeheimnis‘ zwischen Kolumnist und geneigter Leserschaft – von schlimmen, eigenveschuldeten Senden-vor-Denken-Vorfällen berichten. Da kommt man gut lanciert aus dem Wirtshaus und gewahrt im Posteingang eine Bürokratenkanaille, die gefaxt, unterschrieben und bestätigt haben will. Enragiert hämmere ich dann in die Tasten, empöre mich, was sich unbescholtene Bürger heutzutage gefallen lassen müssen und gebe der strategischen Bomberflotte Order, das Hauptquartier der Cablecom/des BAG/der Billag sei in einen Kartoffelacker zu verwandeln. SIE HABEN MICH VERSTANDEN MAJOR! CODE ROT!

Schlimmer noch: Wichtsäcke meines Schlages verfügen über eigene Heimseiten samt „Blog“ (englisch für: Pups). Nach der einsamen, schweren Entscheidung, Billag zu vernichten, braucht der Grossstratege einen Schnaps. Dann versammelt er via seinen Pups (Blog) den weltweiten Stammtisch und bläst allen Arschgeigen einmal so richtigen den Marsch. Anderntags wundere ich mich, was der Wüterich in meinem Namen wieder angestellt hat. Wo ich mich doch als höflichen ältern Herrn sehe, der gern unauffällig und unbelästigt wäre.

Seit nun alle Welt bei Facebook coram publico Laut geben kann, leidet so mancher unter den Zeit- und Zustandsdifferenzen zwischen senden (vorher), und darüber nachdenken (eben: nachher). Es bräuchte deshalb Befindlichkeitskriterien, um den Zugang bei Gesichtsbuch zu regeln: Wer nicht per Fingerdrucksensor belegen kann, dass er gerade auch a) total traurig b) extrem sauer auf Rita oder c) voll wie eine Strandhaubitze ist, kommt gar nicht erst bis zu den entsprechend leichtfertigen Veröffentlichungen.

Ansonsten dräut bald der 500-Seiten-Zweitling: „Noch mehr Peinlichkeiten: Warum wir trotzdem immer erst senden!“

Postskriptum:
Soweit die Kolumne in der SonntagsZeitung, in der noch stand: Maxi-Versionen, Fotos und was Sie schon lange sagen wollten auf: www.haem.ch

Eine Maxi-Version ist es diesmal nicht, und der Text bietet sich auch nicht für Fotos an. Aber versprochen, ist versprochen: Deshalb ein Bild prosaisch die Welt an meinem Saigoner Schreibtisch vor zwei Minuten aussah.

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Mitternacht ist schon lange vorüber, die Gäste sind gegangen, die Weinflaschen geleert, jetzt wäre ich in Form garstige Sachen hinzutippen. Rechts hindrappiert liegt Dumb Luck, eine vietnamesische Satire aus den 30er und eines meiner liebsten Bücher zum Land, sowie der neue Kapielski Mischwald. ich bin schon lange ein Verkünder von Kapielskis künstlerischem, mehr noch seinem literarischen Werk. Und weil ich ihn gerade gelesen hatte, mir also der Kapielskisound durchs Hirn nachhallte, wurden auch die Sätze für die SonntagsZeitung arg lang. Als Einstiegsdroge zu Kapielskis empfehle ich die beiden Bändchedn Gottesbeweise. Sehr lustig! Mischwald ist mir öfters zu deutschnational.

Nun, ich wäre also bereit. Ich denke: Genau, jetzt so spotten wie in Dumb Luck, jetzt krachend schimpfen wie Kapielski! Stattdessen aber – und bevor SIE nun endlich das Wort haben – hänge ich noch die Kolumne an, die ich damals zu Fialas SMS-Lapsus schrieb und die im Tenor ähnlich ist wie die neue, aber: noch sehr unschuldig. Damals gings um SMS und die Menschheit ahnte noch gar nichts von der allumfassenden Proliferation von Massenrufvernichtungswaffen wie Facebook, Individualblogs und Kolumnenleserkommentarfunktionen.


Thomas Haemmerli: Tücken der Technik, SonntagsZeitung vom 28.05.2006

Durch ein Malheur, wussten die Kollegen von der «Neuen Zürcher Zeitung», sei der Rücktritt von Regierungsrätin Fierz beschleunigt worden. So habe FDP-Chefin Doris Fiala auf die Combox ihres Mitstreiters, Nationalrat Filippo Leutenegger (Schweizerisch Vreisinnige Partei SVP), gedonnert, man müsse «von Fierz den Rücktritt fordern, knallhart. Knallhart.» In Tat und Wahrheit habe sich Fiala aber in der Nummer geirrt, und die Fierzsche Combox besprochen.

Skeptiker behaupteten sofort, Doris «Kruppstahl» Fialas Fehltritt sei knallhartes Politkalkül: Weil sie’s der Fierz so deutlich nicht habe reinreiben können, hätte sies halt stellvertretend deren Handy-Kummerbox besorgt und der den Marsch geblasen.
Ich glaube eher, das Versehen ist Fialas lockerer Luftikushaftigkeit in Tateinheit mit luftikushaftiger Lockerheit (Fidiri-Fidira-Fialalala-Prinzip) geschuldet, wobei das keine Rolle mehr spielt, denn Fierz hat ja den Bettel hingeworfen (ganz nach dem Jetzt-ists-mir- Fierz-egal-Prinzip).
Der Lapsus bleibt aber als drohendes Exempel für uns alle: Elektronische Gerätschaften führen gerne zu unbedachten Botschaften.

Im Zustande der Trunkenheit etwa fühlt man sich plötzlich heftig zu Bruder und Schwester Mitmensch hingezogen, denen man sich dann per Kurznachrichtenservice vulgo SMS an den Hals wirft, um sich anderntags über Absagen und den eigenen Gesendet-Ordner zu wundern. Und ohnehin eine Fierz-Idee ist es, sich nach Einnahme von Ekstase-Tabletten vorschnell und konzessionslos per SMS, Kuss oder warmherzige Konversationen mit langjährigen Feinden zu versöhnen.

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