01.03.2009  _  Fotos + Kolumne + Masern + Stahlsektor + vietnamesisches Volk + Vogelgrippe Facebook

Volkszorn und persönliches Gefechtshuhn

Meine Tageszeitung heisst Viet Nam News und vermeldet gerne grosse Fortschritte im Stahlsektor oder diplomatischen Freundschaftsaustausch mit dem Vatikan.

Viet Nam News Frontpage

Viet Nam News Frontpage

Richtige News sind in den den Kurznachrichten, wo ich alles über neue Vogelgrippefälle lese, denn ich bin Hypochonder. Und wie mein Hypochonderkollege Luc Bondy einmal treffend feststellte, werden selbst Hypochonder krank. Mit grosser Sorge also las ich von Vogelgrippevorkommnissen rund um die chinesische Grenze und vermutete jedes Mal wie ein Verschwörungsparanoiker: Das ist bloss die Spitze des Eisbergs! Uns, dem einfachen vietnamesischen Volk, wird doch alles verschwiegen. Die Furcht verstärkte sich als ich von einem grösseren Masernausbruch erfuhr, der darauf zurück zu führen war, dass die Schulleitung die ersten Fälle verschwiegen hatte. Okay, das ist immer noch verzeihlicher als unsere durchgedrehten Obskurantisten, die Masernimpfungen verweigern, weil sei meinen, man müsse natürliche Kinderkrankheiten einfach durchleiden und die ihren Nachwuchs wahrscheinlich vom Säbelzahntiger oder vom Problembären auffressen lassen würden, Hauptsache es ist gaaaaaaaaanz natüüürlich (Dä Bär da, es isch glaubs dä Bruno, also, dä hätt halt au Hungär, gäll Kevin. Kevin via Bär ab)

Dann las ich, an der Grenze zu China hätten die Behörden geschmuggeltes Geflügel beschlagnahmen wollen, seien aber vom aufgebrachten, Ferdervieh besitzenden Volk in die Flucht geschlagen worden. Wäre Vietnam eine föderalistische Demokratie, dachte ich, es gäbe sicher Kantone und Parteien, die das Recht jedes vietnamesichen Wehrmannes verteidigen würden, zu Hause das persönliche Huhn aufzubewahren samt einem Set Vogelgrippe-Gefechtsviren für biologischen Widerstand im Ernstfall.

Als vor dem Tet-Festessen bei nachbars ständig ein Haushahn krächzte, wagte ich kaum die Fenster zu öffnen und atmete erst auf, als der Hahn einer Suppe zu geführt worden war. Mit Schauder schliesse ich meine Bürotüre, wenn ich Cué, die Putzfrau, niesen oder husten höre. Unsere Kommunikation ist auf wenig erfolgreiche Zeichensprache beschränkt. So endete der Auftrag, die an Freunde adressierten Ho Chi Minh-Ansichtskarten mit Marken zu versehen und per Post zu expedieren damit, dass Cué sämtliche Karten rahmen liess und im Wohnzimmer drapierte. Kurzum, es ist mir nicht vergönnt mich an Cué zu wenden und ihr zu meiner Beruhigung abzuringen: „Nicht wahr, Cué, wir behandeln Sie gut. Nie, nie werden Sie uns so eine Vogelgrippe nach Hause bringen.“

Postkarten-gerahmt

Cué mit gerahmten Postkarten

So harre ich des Tages, da ich im Sterbefieber in einer Vietn Nam News-Kurzmeldung die Bestätigung lesen werde, die Grippe sei ein wenig ausser Kontrolle, derweil die Frontpage grosse Fortschritte im Bausektor feiern wird.

Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 1.02.2009

Vietnam News: Verdoppelung der Exporte

Vietnam News: Verdoppelung der Exporte

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