Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 4.1.2009
Jede Woche ein Buch lesen! Das war 2005 der Neujahresvorsatz von Karl Rove, dem Chefideologen der Regierung Bush. Rove behauptet, daraus sei ein Wettkampf mit Bush hervorgegangen, wer mehr lese. Ende Jahr hätte er 110 Schwarten durch gehabt, Bush (offenbar ein heimlicher Bildungsbürger) 95 Stück. Ständig schmöckern, statt regieren: Kein Wunder, geht‘s dem Ami heute so dreckig.
Trotzdem beneide ich Rove & Bush ob ihrer Disziplin. Mit Vorsätzen, die Aktivitäten wie forciertes Lesen oder regelmässige Bauch-weg-Gymnastik betreffen bin ich stets gescheitert. Ich nehme mir nur noch Unterlassungen vor. Mein Vorsatz 2009: Mich beim Lesen helvetischer Zeitungen nicht mehr so masslos aufregen. (Ich wohne ja jetzt in Saigon.) Los lassen! Leben lassen! Wasser lassen! Sanft sein, statt boshaft, schneidend und unversöhnlich. Keine persönlichen Angriffe mehr! Nicht einmal bei kompletten Kretins und Vollkoffern. Ruhig Blut sogar bei Aeschmanns Christiane, die – durchgefüttert vom Steuerzahler – als „Leiterin Arbeitnehmerschutz des Staatssekretariats für Wirtschaft“ ihr Dasein fristet. Brrrr, Haemmerli, brrr, mahne ich. Sei kein kein Sklave deiner Impulse. In Gottes unerschöpflichem Heilsplan hat womöglich sogar die Aeschmann irgendeinen Zweck, auch wenn der verborgen bleibt. Denn eine „Leiterin Arbeitnehmerschutz“, die den 24-Stunden-Tankstellenshops verbietet, etwas anderes zu verkaufen als Kaffee und Snacks ist ein schlechter Scherz. Statt geschützt zu werden, verliert der Arbeitnehmer nämlich seinen Job. An der Seebahntankstelle unweit meines Büros stand ich nachts oft Schlange. Schon jetzt sehe ich den Volkszorn, wenn die Regale abgetrennt sein werden, bloss weil lebensfremde Schnarchsackbürokraten nicht kapieren, dass es Menschen mit einer anderen biologischen Uhr als ihrer eigenen Siestamentaliät gibt. Ich werde knurren: „Bundeshaus: Niederbrennen!“ Ich werde krakeelen: „Beamtengesocks: Ausrotten!“ Und kleinlaut schliessen: „Vorsätze 2009: Wieder nix genützt.“
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3 Kommentare
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haemmerli (Autor)
Nachsatz:
Es ist ein Jammer. Einen Tag nachdem ich diese Kolumne abgeschickt hatte, las ich, dass die sogenannte IG Freiheit beabsichtige, das Verbot der nächtlichen Tankstellenverkäufe zum überflüssigsten Gesetz zu küren. Dagegen ist nix einzuwenden. Und meist sind die Forderungen der „IG Freiheit“ auch die meinen. Das Problem ist: Diese IG ist eine der Frontorganisationen der SVP, und wenn es um meine Freiheit geht, einen Joint zu rauchen oder Freunde aus Afrika in die Schweiz einzuladen, dann ist es bei den Exponenten der IG fertig mi der Freiheit. Natürlich kann man sagen, solange die SVP in irgendeinem Bereich einmal das Richtige will, sei das zu begrüssen. Mein Jammer aber ist, dass sie die einzigen sind. Sowohl Linke als auch Liberale sind in der Schweiz zu träge, zu sklerotisch, zu konservativ, zu reaktionär. Das hängt im Fall der Linken damit zusammen, dass sie heute von Gewerkschaftsbonzen dominiert wird, die in ihren Funktionärselfenbeintürmen hocken und keinen Schimmer vom Leben draussen haben. Deshalb ist die Linke in der Schweiz so erfolglos, sogar in einem Zeitpunkt, da die „Gier ist gut“-Sirenen allesamt Schiffbruch erlitten haben.
Regelmässig also muss ich mich aufregen, weil die Gewerkschaften glauben, Nacht- und Sonntagsarbeit sei des Teufels. Es lebten ja alle in einer Familie und Freizeit fände nur am Wochenende und abends statt. Fakt ist: In allen grossen westlichen Städten lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Einpersonenhaushalten. Bezieht man noch in Betracht, dass bei den anderen noch Schwule, WG s und Zweckgemeinschaften dazugehören, wird klar: Familie ist in urbanen Räumen eine minoritäre Lebensform.
Die Gewerkschaftsforderung aus den Sechzigern „Sonntags gehört Papa mir“ ist heute obsolet. Dazu kommt, dass inzwischen auch wissenschaftlich belegt ist, was Nachteulen wie ich schon lange spüren: Manch eines lebt und arbeitet halt lieber nachts.
Dabei verstünde man ja, würden die Gewerkschaften Nachtarbeit als einen Hebel benutzen, um bessere Bedingungen herauszuholen. Aber zu fordern, dass die Leute, die nachts in der Seebahntankstelle Produkte verkaufen, auf die Strasse gestellt werden, einfach weil man blind vernagelten, bornierten Gewerkschaftsbonzen Glaubenssätze gehorcht, ist idiotisch, ist weltfremd und ist Verrat an der eigenen Klientel.
Nun kann ja jeder glauben, was er will, aber in der Schweiz wird dieser Schwachsinn immer dann politisch wirksam, wenn sich Steinzeitgewerkschafter mit Christengesocks zusammen rotten.
So geschehen als diese Mischpoke zu verhindern suchte, dass ich sonntags am Hauptbahnhof ein Buch oder ein frisches Hemd kaufen darf, wenn mir danach ist. Jetzt spielt diese Achse des Schwachsinns wieder im Amt für Wirtschaft.Zur Zeit an der Spitze: Doris CHRISTLICHE VOLKSPARTEI Leuthard, in ihrem Gefolge der ehemalige Gewerkschaftsfürst Serge Gaillard, der offenbar massgeblich am Tankstellenverkaufsverbort beteiligt sein soll.
Schon als der CHRISTLICHE VOLKSPARTEIBUNDESRAT Josef „Schosèèfff“ Deiss im Seco zu Gange war, wurden plötzlich nächtliche Pizzakuriere verboten. Weil ich nicht nur an der Seebahntankstelle nachts einkaufe, sondern als eingefleischter Nachtarbeiter manchmal auch nachts etwas essen will, kam ich entsprechend in Harnisch und schrieb unten stehende Kolumne. Die vielleicht ihr Scherflein beigetragen hatte, zum erfreulichen Ende: Ob der Proteste nahm Deiss das Verbot zurück. Und in der Abstimmung deklarierte das Volk: Man will sonntags im HB einkaufen können. Und wen jemand dort arbeiten will, dann soll ihm das nicht verboten werden. Auch wenn es Frömmlern und Sozialreaktionären nicht in den weltanschaulichen Kram passt.
Deshalb: Noch ist Polen nicht verloren. Es kann sich lohnen, den Kampf mit dem Amt für Wirtschaft, mit der CVP und den Gewerkschaften zu führen, es kann sich lohnen, die Gaillard, Aeschmanns & Leuthards coram publico bloss zu stellen als das was sie sind: vernagelte Ideologen.
SonntagsZeitung; 14.11.2004
«Ich bin einsam und habe Hunger»
Es ist wie im finstersten Kommunismus. Wenn ich sonntags beim Tankstellenshop Halt mache, warten vor den zwei Kassen zwei endlose Schlangen. Da stehe ich mir dann die Beine in den Bauch und werde, weil ich wieder vergessen habe, Überbrückungslektüre einzustecken, melancholisch und ein wenig depressiv. Noch schlimmer ist’s, wenn ich sonntags im Zürcher Hauptbahnhof lande, weil ich richtig einkaufen muss. Dann komme ich mir wie die Laborratte vor, mittels derer Nachwuchsforscher das berühmte Rattenexperiment nachstellen: wenig Raum + viele Ratten = aggressive Ratten.
Forscher: «Ratte Haemmerli?» Ich: «Hier!» – «Wie fühlen Sie sich?» – «Aggressiv!» – «Wie äussert sich das?» – «Allen, die mich zwingen, hier einzukaufen, würde ich gerne die Fresse polieren.» Forscher erleichtert: «Hypothese bestätigt.»
Schuld daran, dass man sonntags so beengt einkaufen muss, sind Frömmler und Steinzeitgewerkschaftler, die gemeinsam auf Sonntagsverkaufsverbote pochen. Stellen Sie sich also meine Betriebstemperatur vor, als ich vernahm, dass die gleiche Mischpoke jetzt mit einem Referendum selbst den Sonntagsverkauf in Bahnhöfen beenden will. Die Frömmler, weil ihnen der Sonntag so heilig ist, dass sie weniger glaubensstrengen Mitchristen diktieren wollen, was die zu tun haben. Die Gewerkschafter, weil zu ihren zentralen Glaubensinhalten gehört, Arbeit ausserhalb des Montag-bis-Freitag-sieben-bis-sechs-Uhr-Rasters sei des Teufels. Wer ausschert, werde an Geist und Leib geschädigt, ja vereinsame komplett.
Da muss es schlimm um mich stehen. Jetzt, da ich für Sie, geneigte Leser, in die Tasten hämmere, hat es schon lange Mitternacht geschlagen. Auch heute Sonntag, da Sie diese Zeitung in Händen halten, werde ich mich wieder in mein Büro verfügen. Und dem Schicksal danken, dass weder Christenayatollahs noch gewerkschaftliche Blockwarte mir ihre Ruhevorstellungen aufoktroyieren können. Und noch weniger ihre verstaubten Vorstellungen, wie man zu leben hat. Frömmler und Gewerkschaftsbonzen gehen vom vollbeschäftigten Pater familias aus, der am Wochenende und abends für die Familie da zu sein hat. Nun lebt aber in Städten mehr als die Hälfte der Bevölkerung alleine. Und es gibt in Gottes Namen Kreaturen meines Schlages, die vor zehn Uhr früh vor sich hindämmern, dafür nachts erst richtig in Form kommen.
Falls es aber doch stimmen sollte, dass Nachtarbeit elend und einsam macht, bitte ich den Bundesrat um Gnade. Früher nämlich, ich gestehe es, erkaufte ich mir in einsamen Büronächten manchmal ein wenig Kontakt und menschlche Wärme, indem ich den Pizzakurier orderte. Das geht leider nicht mehr, weil Wirtschafssheriff Deiss Pizzakuriere nach Mitternacht strengstens verboten hat. So sterbe ich einsam den sozialen Tod. Und vor Hunger.
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haemmerli (Autor)
Nachtrag 2 Verkaufsverbot für Tankstellenshops:
Inzwischen habe ich die Medienmitteilung gefunden, mit der das Ende der Verbotsbestrebungen in Sachen Pizza-Kurier verkündet wurde. Was ich nicht wusste: Es ist dem Rechtsaussen Filippo Leutenegger zu verdanken, dass der Schwachsinn abgeschafft wurde, derweil die Linken aus lauter ideologischer Bornierthiet, die Leute lieber arbeitslos (Kurier/Tankstellenshopkäufer) und als hungrige Kunden sehen.
Aufschlussreich dazu eine Reportage aus dem Tagesanzeiger zum einzigen 24-Stunden-Tankstellenshop auf dem Land.
Und nochmals der Tagesanzeiger mit dem Beleg, dass das Gerede, es gäbe kein Bedürfnis nach nächtlichem Einkauf Nonsens sind.
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Rufli
…und die entsprechende Anfrage hab ich ihm geschrieben (dies privat natuerlich), zudem dann den Mitbericht, aufgrund dessen Annahme durch den Bundesrat das EVD seine zuerst ablehnende Haltung bez. Pizza-Kurieren ändern musste (war ja selber mal leidenschaftlicher, dh rasender Pizza-Kurier mit kleinem, rot-weiss-grünem Panda).
Herzliche Gruessse, mot bia làg,
Ruefli
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