SonntagsZeitung 2008.11.02
Damits raus ist: Mein Büroalltag ist der Gleiche, aber bis Frühjahr bin ich in Saigon, Vietnam. Und da erreichten mich plötzlich SMS und Mails des Inhalts, man hoffe, ich lebe noch.
Es stellte sich heraus, dass man in der Schweiz akkurat über eine Jahrhundertflut in Hanoi inkl. Opferzahlen ins Bild gesetzt worden war. Ich blickte von meinem Pültchen auf die Containerfrachter, die sich den Saigon River hinaufschoben. Tatsächlich, es goss in Strömen. Von einer Flut war hier aber nix zu bemerken.
Die Frontseite des «Courrier du Vietnam» jubelte, jetzt würden energische Massnahmen gegen die Inflation eingeleitet. Und in Sachen Television bin ich gerade CNNsüchtig, obwohl ich längst alles über Obama und Bush weiss. Es ist wie damals bei Blochers Abwahl: Die frohe Botschaft macht so gute Laune, dass ich sie wieder und wieder hören will. Die CNN-Sendezeit für Drittweltdesaster ist mit der Kongokrise belegt, sodass auch hier gilt: keine Vietnamflut. Nirgends.
Ein ähnliches Newsvakuum hatte ich Ende 2004 in Indien erlebt. Der Tsunami war in Goa nur eine grössere Welle.
Wie all die verkifften Freaks hatte mich Schadenfreude erfüllt, als die Jetski der reichen Stutzer auf die Küste geworfen worden waren.
Endlich Ruhe! (Zivilisierte Strandgemeinschaft heisst: Joint: Ja. Jetski: Nein.) Derweil die Schweizer Medien umfassend über die Tragödie berichteten, vermerkte Goas Lokalpresse lediglich, wie ungerecht es sei, dass Buchungen storniert würden. Chef-Minister Monohar Parrkiar verkündete, der Slogan «Goa – 365 days of tourism» werde ergänzt zu: «Goa – 365 Tage naturkatastrophefreier Tourismus». Es dauerte, bis man auch in Goa für die Opfer zu sammeln begann.
Ähnlich entfernt ist die Flut in Hanoi. Hanoi liegt über 1000 Kilometer nördlich.
Hanoi ist gestreng und noch immer ziemlich kommunistisch. Derweil ist Saigon frivol. Saigon ist Sodom und Gomorra. Und nach Regengüssen bloss ein wenig feucht. Danke der Nachfrage: Und wie ist das Wetter bei euch?
Nachtrag:
Das Haus, in dem ich wohne, ist durch einen Garten vom Fluss getrennt. Eine Art Weiher, der mit dem Fluss verbunden ist, geht direkt bis an die Türen des Wohnzimmers. Der Saigonriver hat eine Art Ebbe und Flut, und wie man hört, war er selten so hoch. Eines Abendes, bei Flut, stieg das Weiherwasser bis auf einige Zentimeter zum Wohnzimmereingang. Im letwas tiefer liegenden Teil des Hauses waren grosse Lachen.
Mehrmals tägtlich gehe ich den Wassestand kontrollieren. Und wenn ich durchs Haus laufe, denke ich, was müsste man dringend evakuieren, falls nachts die Flut kommt, der Strom ausfällt und man mit Taschenlampe das Wichtigste zusammensucht.
Die Regengüssse verwandeln die Strassen der Stadt flugs in Bachbetten. Aus dem Café Monopol beobachte ich einen armen Kerl mit Stock und traditionellem Hut, der seine Schuhe in einer Pfütze verliert.
Mit viel Stockgestocher kommen aber beide wieder zum Vorschein.
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