27.11.2008  _  Fotos + Kolumne Facebook

Bombay. Nicht Mumbai. Und die Serviettchen des Taj Mahal.

Das Problem beginnt bei der Frage, ob man die Stadt Mumbai oder Bombay nennt. Ahnungslose, die besonders korrekt und nicht paternalisierend sein wollen, sagen Mumbai. Dabei ist der Unterschied einer der politischen Haltung. Bombay wurde durch Mumbai ersetzt als eine Partei übler hinduistischer Lokalchauvinisten an die Macht kam. Mumbai steht für: Mumbai den Mumbaiern (exkl. Muslims, Christen und arme Südinder). Bombay dagegen steht für eine kosmopolitische Metropole mit mulitkultureller Bevölkerung. (Kann man bei V.S. Naipaul nachlesen, der nie Mumbai sagen würde. Oder in dieser Kolumne hier, der aus indischer Sicht berschreibt, wie aus Bombay Mumbai wird.)

Und hinter der Frage Bombay oder Mumbai steht das generelle Problem Indiens: Die Religionen. Bei der Befreiung Indiens vom britischen Kolonialsystem, als es zur Teilung in Indien, Pakistan und Bangladesh kam, wurden mit religiöser Motivation oder wenigstens mit religiöser Rechtfertigung etwa einen Million Menschen umgebracht.

Den islamisch orientierten Terroristen stehen die militanten Hindus gegenüber, die immer wieder Pogrome veranstalten. Weil sie in der Regel mit den lokalen Machthabern eng verbunden sind, bleibt das stets ungesühnt. Und komme ja niemand und behaupte, Buddhisten seien einen Deut besser. Als ich 2006 zwei Monate durch Indien reiste wurde von buddhistischen Mönchen ein Kino angezündet. Die Zuschauer verbrannten. Irgendetwas in dem Film ging den buddhistischen Arschlöchern gegen den Glauben.

Die Kongresspartei, die zur Zeit an der Macht ist, ist aufgeklärt und weltlich. Die Oppositionspartei BJP aber, besteht aus rechtsnationalen chauvinistischen Hinduisten. Man kann von Glück sagen, dass die momentan nicht an der Macht sind. Die Anschläge von Bombay aber dürften ihr bei den nächsten Wahlen starken Schub verleihen. Womit die Spannungen mit Pakistan wieder grösser werden. Und das dürfte das Ziel der Terroristen sein. Nebst dem Tatbeweis, überall und koordiniert zuschlagen zu können.

Die Bilder aus Bombay bestärken mich in meinem militanten Atheismus: Religion ist ein Krebsübel. Mich schmerzen die Bilder des brennenden Taj Mahal, weil es eines der schönsten Bauwerke Indien und eines der angenehmsten Hotels der Welt ist. Die reichen Inder veranstalten dort ihre Hochzeiten, und wochenends flanieren die Städter am Quai vor dem Taj Mahal auf und ab oder sitzen vor dem Gateway to India, einem Torbogen. Das Taj Mahal war eine Oase der Ruhe. Weihnachten 2004 sass ich im Garten des Taj Mahal eine schwere Erkältung aus. Das wanderte in eine Kolumne, die natürlich auf der leichten Seite ist. (Ich werde als SonntagsZeitungskolumnist fürs Leichte bezahlt und bei zuviel Politik zur Räson gerufen.).

Kolumne aus der SonntagsZeitung (2004 12 26)

Das Amnesia (Nirvana)

Das Insomnia hat mir den Rest gegeben. Insomnia ist der Klub des Taj Mahal , eines Hotels, das als das feinste Bombays gilt und mir deshalb als perfekt für die Akklimatisation an Indien erschien, wo ich der Zürcher Kälte entkommen würde. Dachte ich jedenfalls. Obwohl ich es doch besser wissen sollte. Unterentwickelte Länder mit warmem Klima lieben als soziales Distinktionsmerkmal Airconditioning.

Bombays Klima wäre angenehm, aber jedes ordentliche Speiselokal zwingt einen, Pullover mitzunehmen.

Ins Insomnia ging ich, um Bombays Jeunesse dorée zu begutachten. Gülden ist nicht nur die Jugend, sondern auch die Kreditkarten, die Bar bietet als Häppchen Kaviar, Austern und andere Leckereien zu astronomischen Preisen feil, und der Schuppen ist dermassen schick, dass nur das dickste Airconditioning kalt genug ist. Unsereiner würde tätlich gegen den Hausmeister vorgehen und den Vermieter verklagen, wäre es in den eigenen vier Wänden je so kalt. Schnupfen und Grippe haben mich nicht im Schweizer Winter, sondern – schon schwer geschwächt von den Restaurantstrapazen – im Insomnia ereilt. So versitze ich die Tage beim Pool und verschneuze des Taj Mahals Jahresreserve an Sandwichserviettchen.

2004 12 Haemmerli im Garten des Taj Mahal, BombayDauergast am Pool ist auch ein ukrainisches Grüppchen, bestehend aus zwei muskelbepackten Schlagetots, einer jungen Blondine, die als Flittchen zu bezeichnen mich die Chronistenpflicht zwingt, sowie dem Chef. Das ist ein muskulöser Finsterling, mit dem man keine Interessengegensätze haben möchte. (Hoffentlich liest der keine SonntagsZeitung, sonst sage ich vorsorglich adieu!) Man kann sich den Mann lebhaft im Drogenkommerz und Damenhandel vorstellen: «Ich gäbe dir diese blondän Jungfrrrauän. Du gibst mir neuä Dioxinampulle, aber diesmal stärkärä Dosis, sonst du tot, Rashid!»

Die Erscheinung der Chefs hatte mich schon frappiert, als ich vor drei Jahren die Ukraine bereiste. Man sieht dort sofort, wohin jemand gehört. Derweil in der Schweiz selbst die niederen Stände aufrecht und selbstbewusst dastehen, besagt die zusammengesackte Körperhaltung der meisten Ukrainer: «Ich bin ein Wurm, tu mir nichts!» Chefs dagegen drücken das Kreuz durch, stemmen die Arme in die Hüften und staksen herum, als hätten sie die Welt höchstselbst erfunden. Wer in der Zivilisation Türsteher wird, der wird im Brachialkapitalismus zum Boss. Wer wie im Gorillarudel anderen Affen die Fresse polieren kann und nicht gänzlich unterbelichtet ist, der kriegt das Geld, die Blondine und die beiden Bodyguard-Einzeller. In der Ukraine hätte jemand mit meiner Statur keine Chance. (Von Bodin und Klapproth mal ganz zu schweigen.)

Und um darüber hinwegzukommen, werde ich heute gar nicht umhin können, Vergessen im anderen schicken Klub der Stadt zu suchen, im Amnesia.

Nachtrag: Eine ziemlich gute Beschreibung des Taj Mahal findet sich bei der New York Times, die wiederum den International Herald Tirbune Blogger Anand Giridharadas zitiert:

Anyone, anywhere who has lived in Mumbai was gasping at the sight of a burning Taj Mahal Palace & Tower hotel. That is because it is not your average hotel.

It is not another Sheraton or Hilton in the business district of another world city. It is the aorta through which anything glamorous, sentimental, confidential or profitable passes in Mumbai. Its major role is to serve its guests, who come from around the world and elsewhere in India. But it also serves the local city in a way that few hotels in the world could claim to do.

If a momentous infidelity is being committed on a given night, or a billion-dollar business deal being inked, or a recklessly brilliant idea being hatched, there is a fair chance it is being committed,
inked, hatched at the Taj. Mumbaikars who can afford it have their most romantic meals at its Wasabi restaurant, accept marriage proposals in its Sea Lounge, land job offers in its coffee shop.
Non-guests are forbidden to use the pool. But so many Mumbaikars enterprisingly bring a towel, furnish a fake room number and dip into its manmade lagoon.

It stands across from the Gateway of India. Those who would not dream of paying $3 – a decent daily wage – for one of its fresh-lime sodas sit outside the hotel, leaning against the stone wall on the sea. They take in the scene; they admire the finely dressed people breezing in and out. They know that it is not their time for the Taj now, but, should a fortune bless them, it is in the Taj they will spend it.

Few other hotels of the world could say they were built out of spite.

Legend has it that J.R.D. Tata, a nineteenth-century industrialist, was once turned away from a hotel in British-era Mumbai because he happened to be Indian. He decided, in a strange kind of revenge, to
build the best hotel in the country, outfitted with German elevators, French bathtubs and other refinements from all around the world.

The hotel became, for many Indians, a symbol of the overthrow of the indignities of the colonial age. And it became a symbol of the best that could be had in a city paved with dreams.

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