11.06.2012  _  Kolumne + Abstinenz + Männer + Mirjam von Arx; Evangelikale + Sex + True Love Waits + Virgin Tales Facebook

Wie viele Männer darf eine Frau vor dem Richtigen gehabt haben?

Das will ich Ihnen sagen. Beginnen wir mit der Traditionalistenposition, die besagt: keinen! Bis zur Heirat darf das Hymen unter keinen Umständen durch Fleischesfreuden beschädigt werden. «True Love Waits» heisst das in der Werbeslogan-Formulierung von US-Christen und gehört zum Standardrepertoire von Fundamentalisten jeglicher Couleur.
Nun ist es ja richtig, dass jedermann – selbst der Christenayatollah und Muslimfrömmler also – tun und lassen können soll, was ihm beliebt, so lange dabei die Nerven der Mitmenschen nicht allzu sehr strapaziert werden. Doch leider kann der religiöse Eiferer nicht einfach still heilige Bücher lesen. Er muss predigen und missionieren. So tragen True-Love-Waits-Anhängerinnen am TV gerne und mit dem stets gleichen angewiderten Gesichtsausdruck den Vergleich vor, wahre Liebe warte, weil ja niemand ein «abgegessenes Apfelbütschgi» heiraten wolle.
Wäre der Vergleich stichhaltig, so wäre von mir gar kein Bütschgi mehr übrig. Ich wäre ein schwarzes Loch. Pure Antimaterie. Und mich packt kaltes Grausen, wenn ich mir vorstelle, wie sich zwei Wahre-Liebe-hat-gewartet-Gläubige in der Hochzeitsnacht als im wahrsten Sinn des Wortes blutige Anfänger miteinander abmühen.
Nein, nein, meine Damen, wenn Sie es mit dem Richtigen im Bett angenehm und lustig haben wollen, dann braucht er dafür etwas Erfahrung mit dem anderen Geschlecht. Und für Sie gilt das selbstredend auch. Damit wartet man nicht bis zur Hochzeitsnacht, sondern sondiert vorgängig, wenigstens, äh, stichprobenhaft.
Ja? Bitte? Das wissen Sie schon?

Und Sie wollen jetzt aber genau wissen, wie viele Männer eine Frau gehabt haben darf? Also ich bitte Sie! Diese in Zeitschriften momentan sehr beliebten Überschriften, die besorgt fragen, ob man dies oder jenes dürfe, sind von einer so gouvernantenhaften Betulichkeit, dass die Antwort schon aus Gründen der Selbstachtung lauten muss: so viele, wie Ihnen belieben! Wenn Sie aber meinen Rat wollen: am besten so manchen.

Guter Sex ist auch ein Resultat von Erfahrung. Und selbst in Sachen Untenrum gilt: Übung macht die Meisterin. Dabei geht es nicht so sehr um technische Kniffe oder Fingerfertigkeiten, sondern darum, dass man eher mit Humor als mit Stress reagiert, wenn es zwischen den Laken plötzlich sehr intim wird.
Seit meinen Zwanzigern bevorzuge ich deswegen Damen über dreissig, und es war mir – abgesehen vom Knackarschfaktor – immer ein Rätsel, wieso sich so viele meiner Geschlechtsgenossen auf junge Frauen versteifen.
Ganz im Einklang mit der Männerwelt bin ich dagegen bei der Frage nach dem Richtigen: Der Richtige, meine Damen, bin immer ich, ob fürs Leben, für eine Affäre oder ein Schäferstündchen. Die mentale Ausstattung von Männern lässt gar keinen anderen Schluss zu. (Was Männer allerdings nicht unbedingt davon abhält, im Ernstfall den Schwanz einzuziehen.)

Dafür, dass auch Sie die Definition des Richtigen grosszügig auslegen sollten, sprechen Scheidungsstatistik und Lebenserfahrung. Stellen Sie sich doch vor, Sie wären noch immer mit dem allerersten, den Sie für den Richtigen hielten, zusammen!
Ich plädiere also für Mut und Abenteuerlust. Freilich, es gibt so manchen Mann, der von der Angst, nicht zu genügen, besessen ist, und der in jedem, der vor ihm war, einen Konkurrenten sieht, der vielleicht besser war. Begegnen Sie diesem Männertypus wie einem Kind, das eine Bastelarbeit präsentiert: Loben Sie selbst den grössten Schrott. Oder tauschen Sie ihn wieder ein.
Der wichtigste Vorteil erfahrener Damen: Der aktuelle Herr der Wahl muss nie befürchten, die grösste Pfeife zu sein – es hat immer schon eine grössere vor ihm gegeben.
Ausserdem sind Damen mit Vorleben unterhaltsamer. Was, weil wir alle sehr viel älter werden, immer wichtiger wird. Niemand will im Altersheim die Katzenkisten-Anekdoten von Schnurrli hören. Aber Liz Taylor wird in der Betty-Ford-Klinik immer wieder von den Eheeskapaden mit Bauarbeiter Larry Fortensky erzählen können.
Und stellen Sie sich ausgangs noch vor, man hätte einer Mae West, deren Lebenslust das Bonmot kreierte «It’s not the men in my life that count, it’s the life in my man» eine derat alberne Frage wie die nach der zulässigen Zahl vorgelegt.

Diesen Text schrieb ich vor rund acht Jahren für die Rubrik „Ein Mann, eine Frage“ in der Frauen-Zeitschrift Annabelle. Diese Texte wurden später in einem Buch mit dem Titel „Ein Mann eine Frage“ im Verlag Kunstmann publiziert. Der Text fiel mir wieder ein, weil die Produzentin meines Mulden-Films, Mirjam von Arx eben ihren Dokumentarfilm Virgin Tales in die Kinos gebracht hat. Darin geht es um eine ganze Sippschaft von“ Wir warten bis zur Ehe“-Frömmlerinnen, deren Vater Lobbyst der ultrakonservativen US-Evangelikalen ist. Der Film bietet eine guten Einblick in die nette und gleichzeitig klaustrophobische Welt völlig abgeschotteter Fanatiker.

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