Die Kolumne aus der SonntagsZeitung vom 25.10.2009
Liebi Kolleginä und Kollegä von der Gewerkschaft Comedia, ich habe die Faxen dicke. Betrachten Sie diese Kolumne als formellen Austritt aus ihrem Verein. Fällig war er schon lange. Weil ich aber seit über 20 Jahren im Mediengewerbe bin und bereits der Vorgängerorganisation SJU angehörte, weil ich überdies um die Notwendigkeit organisierter Arbeitnehmervertretung weiss, und weil ich so manchen Journalisten zum Beitritt überredete hatte, brachte ich es bislang nicht übers Herz, mich endlich zu verabschieden.
Obwohl ich mich stets über das lausig gemachte Mitteilungsblättchen aufregte, das ausgerechnet eine Mediengewerkschaft fabrizierte. Als ich länger im Ausland weilte, schlug ich vor, Leuten wie mir das Organ als PDF zu mailen. So könnte ich es – bei Bedarf – lesen, es entfielen Druck- und Versandkosten und öko wärs obendrein. Die damals zuständige Schnepfe beschied mir, gerade als Gewerkschaft seien wir dagegen, Texte ohne Zusatzlohn digital zu verbreiten. Ich war sprachlos, hatte ich doch gemeint, man publiziere ein Mitteilungsblatt, weil man eine Botschaft verbreiten möchte.
Am stärksten aber ärgert mich seit jeher der starre und reaktionäre Arbeitszeitbegriff. Kein Problem sieht der Gewerkschaftsideologe, wenn sich arme Kreaturen morgens um sechs Uhr aus den Federn quälen müssen. Fanatisch bekämpft er dagegen jedwede Arbeit, die in den Abend hineinlappt. Verleugnet wird, dass es divergierende Biorhythmen und damit Existenzen meines Schlages gibt, die nachts (jetzt ist es gerade 2.18 Uhr) in die Tasten hauen, nicht weil mir das kapitalistische Verleger-Finsterlinge aufzwingen, sondern weil das meine liebste Arbeitszeit ist. Als ich Nina Scheu, der neuen Chefin des Gewerkschaftsblättchens, vorschlug, einmal ein paar Argumente gegen die Arbeitszeitdogmem zu verfassen, beschwichtige sie mich, sie funktioniere ja gleich wie ich, auch ihre Artikel entstünden meist nach Mitternacht. Aber dergleichen Häresie in einem Organ zur Festigung gewerkschaftlichen Glaubens zu schreiben, das war denn doch zu viel. So ist es nur folgerichtig, dass diese Woche die Gewerkschaftsspitzen frohlocken, weil eine Seilschaft um Serge Gaillard, ehemaliger Gewerkschaftsbonze und heute Doris-Leuthard-Bürokrat und Christiane Aeschmann, sog. „Leiterin Arbeitnehmerschutz“, endgültig durchgesetzt hat, dass in Zürich die 24-StundenTankstellenshops geschlossen werden müssen. Dort verlieren Leute ihren Job. Ich verliere gleich um die Ecke einen Ort, der auch nach meinem Feierabend offen war, und das bloss, weil ein paar Ideologen sich nicht von ihrem antiquiert-industriekapitalistischen Weltbild verabschieden können und sich einen Deut um die Interessen konkreter Menschen scheren. Nachteulen Treffpunkt:
P.S.:
Zum Thema gehört auch die Kolumne über meine gescheiterten Jahresunterlassungsvorsätze.
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3 Kommentare
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marc pittner
das mit den gewerkschaften kenn ich nicht, aber das mit den tankstellenjobs schon. immer wieder schön mich daran zu erinnern wie ich in kalifornien nachts um 4 nach getaner arbeit (ein paar tausend zeichen irgendwas) im ralph’s sehr ruhig an den ganz normalen ‚tages‘-einkauf machte. seit jenem ganz spezifischen bummel durch die gestelle frage ich mich sehr regelmässig, wann wir hier endlich während 24h einkaufen dürfen.
ich finde man sollte statt dem verbot der migros gesetzlich vorschreiben in jeder stadt einen shop 24h offen zu haben. ich würd sogar einen volg oder primo nehmen. aber offen müsst er halt sein.
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Urs Bütikofer
Eine weinerliche Angelegenheit, diese Kolummne. Als 24 Stunden Konsument, will Herr Haemmerli nicht nur tief nachts arbeiten «dürfen» (was er ja ohne Probleme auch kann), nein, auch andere sollen das «dürfen». Blöderweise arbeitet in den Tankstellen Shops nun mal nicht die gut verdienende Mittelschicht, sondern vor allem Leute, die mangels Alternativen sich auch noch mit Hungerlöhnen Nachtschichten in den Bauch stehen sollen. Damit sich Herr Haemmerli das Seelenbalsam wegen einer schlechten Verpackung der Gewerkschaftspresse, in Form einer Schokolade auch um 03.00 Uhr morgens noch holen kann? Wenn dann noch weibliche Angestellte von ihm als Schnepfe betitelt werden, ist ja ersichtlich, dass er nicht nur einem Frauenbild huldigt, das aufgeklärtere Geister als diskriminierend bezeichnen würden- nein, er steigert sich noch in die Behauptung, dass die Gewerkschaften für den Arbeitsplatzverlust bei den Shops zuständig seien! Das war nicht das Bundesverwaltungsgericht, dass die Zürcher Behörden abbremste, weil die sich über das Arbeitsgesetz hinwegsetzten und die Shops tolerierten. Da heulen natürlich nicht nur die Vertreter der allmächtigen Erdöl-Vereinigung auf, notabene Grossinserenten des Arbeitgebers von Herr Haemmerli, sondern eben auch er selbst. Anscheinend weiss er, wem er was schuldet…
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oasenhoheit
es ist schon sehr eigenartig, dass eine gewerkschaft ein magazin anscheinend in erster linie als einnahmequelle und weniger als informationsmedium herausbringt.
würden bedenken geäußert, dass das magazin als pdf gegen den willen der herausgeber weiterverbreitet werden könnte, so ließe sich dies eindämmen, indem man die datei individuell erstellt und ein „wasserzeichen“ in form des namens des adressaten einfügt.
so wäre im fall einer verbreitung immer nachvollziehbar, wer die datei ursprünglich einfach weitergegeben hat.
dass darüber hinaus einzig und allein das frühaufstehen eine tugend ist, während als müßig gilt, wer länger schläft (auch wenn er dafür länger auf der arbeit bleibt), ist für mich leider nichts neues. und wie sie schon richtig sagen, werden tatsächlich nach diesem schema die wunscharbeitszeiten ausgerichtet.
fast so, als wäre der begriff „biorhythmus“ völlig bedeutungslos.
den sonntag weiterhin zu schützen, halte ich für gut und wichtig. aber ansonsten sollten die öffnungszeiten von geschäften so flexibel wie möglich gestaltet werden können, auch in deutschland, wo ich herkomme.
das einkaufen wäre zudem viel entspannter, wenn sich die kundenströme etwas besser verteilen ließen.
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